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Heute vor 20 Jahren: Die Mauer bröckelt - der Ball rollt

In der Nacht der Deutschen Einheit duellierten sich BVB und CFC im UEFA-Cup

Im >> ersten Teil unseres Rückblicks auf das Dortmunder Gastspiel in Chemnitz haben wir die Geschehnisse des 2. Oktober 1990 Revue passieren lassen und sind mit Hans Meyer, Christoph Franke und Thomas Laudeley vom CFC in Erinnerungen geschwelgt. In Teil zwei unserer Fußball-Story zum Jubliläum der deutschen Einheit erinnert sich Kirsche-Herausgeber Holger Sitter an die Reise in den Osten, außerdem kommt CFC-Fan Jörg Fichtner zu Wort. Wir skizzieren den Werdegang der beiden Traditionsvereine und werfen einen Blick in die Zukunft.

Der damalige CFC-Spieler Thorsten Bittermann, heute Co- Trainer neben Gerd Schädlich, ist dem CFC über all die Jahre eng verbunden geblieben. Er hat aber nicht mehr so viele Erinnerungen an das Rückspiel gegen den BVB und begründet dies wie folgt: ?Es war eine solch abwechslungsreiche Zeit. Jeden Tag passierte etwas. Da sind dann nur Bruchstücke hängen geblieben.?

Auch Holger Sitter, Herausgeber der Kirsche, erinnert sich gern an die Stunden im ehemaligen Karl-Marx-Stadt: ?Wir haben mit den 'Treuen Dortmundern' nach Chemnitz unseren allerersten Bus gechartert auf dieser Europapokal-Tour. Im Stadion herrschte eine spürbare Aufbruchsstimmung, die Menschen waren freundlich und aufgeschlossen.? Besonders wühlten ihn jedoch Szenen nach dem Spiel auf. ?Ich bekomme noch heute eine Gänsehaut, wenn ich daran zurückdenke, wie die Chemnitzer Bevölkerung kurz vor Mitternacht schweigend mit Kerzen vor dem Rathaus stand. So etwas vergisst man niemals. Das war sehr bewegend? macht Holger keinen Hehl aus seinen Empfindungen während dieser politisch so bedeutenden Momente.

Ähnlich ergeht es Jörg ?Fichte? Fichtner aus Wüstenbrand, einem kleinen Vorort von Chemnitz. Fichtner, der beide Uefa-Cup-Spiele im Stadion miterlebte, ist seit 1977 Fan des FCK bzw. CFC. Die Eindrücke der Wendezeit, er war seinerzeit Mitte 20, sind bei ihm ganz fest haften geblieben. So schwärmt er von seinem ersten West-Fußball-Erlebnis beim Hallenturnier seines FCK in der Essener Grugahalle, über die vielen neuen Freundschaften, die er schließen und bis heute leben konnte.

?Von den Uefa- Cup- Spielen ist sicher noch präsent, dass wir in einem so großen, überdachten Stadion in Dortmund solch vielen schwarzgelben Fans gegenüber standen. Das war schon imposant, vor allem die Lautstärke im Stadion.? Fichtner weiter: ?Vor dem Rückspiel fuhren ?Westautos? mit offenen Schiebedach durch Chemnitz, da wurden die riesengroßen Vereinsfahnen oben aus dem Wagen geschwenkt, sowas kannten wir bis dahin nicht.?

Die Einheit beging Fichtner - im Kreise von Familie und Freunden - im heimischen Wüstenbrand in der Turnhalle, wo ausgiebig gefeiert wurde. ?Um Mitternacht wurde letztmalig die DDR- Hymne angespielt und dann, wie bei einem alten Plattenspieler, mit falscher Geschwindigkeit ausgeblendet. Unmittelbar darauf folgte endlich die Deutsche Nationalhymne, alle lagen sich vor Freude in den Armen und es flossen Tränen in Strömen. Der Frust über die vergeigten Uefa-Cup-Spiele war längst vergessen? schildert der heutige Mittvierziger eindrucksvoll und nachfühlbar, was in den Menschen vorging, was die Wiedervereinigung den Menschen bedeutete.


Deutschland veränderte sich seinerzeit in einem atemberaubenden Tempo. Nicht mal ein Jahr war vergangen, vom Mauerfall des 9. November 1989, bis zur politisch vollzogenen Einheit. In diesen Zeitraum fiel im Juli 1990 die Währungsunion in Ostdeutschland.

Aber es waren eher die vielen, vielen Begebenheiten, die im Kleinen - unbeachtet von der breiten Masse - für Veränderung, neue Kontakte, Solidarität und Annäherung sorgten. Und genau all diese kleinen, scheinbar unwichtigen Ereignisse trugen in der Summe zum Zusammenwachsen und zur geistig und emotional vollzogenen Einheit Deutschlands bei.



In rasanter Geschwindigkeit veränderte sich auch der Fußball, gerade in den neuen Bundesländern. Aufgrund der wirtschaftlichen Vorteile der Westclubs wechselten die meisten Leistungsträger in die Bundesliga. Das qualitative Ausbluten der Ostvereine konnte kaum kompensiert werden. Die Folgen sieht man noch heute allzu deutlich: betrachtet man die Deutschlands Fußball-Landkarte, gibt es in den neuen Bundesländern in Sachen Profifußball viele, große Lücken.

Während der Chemnitzer FC seinerzeit den bitteren Gang in die Oberliga antreten und sich nur sehr mühsam vom sportlichen Niedergang erholt, ging der Weg der Borussia in den 90er Jahren steil bergauf. Die Schwarzgelben haben in der Zwischenzeit drei Deutsche Meisterschaften, den Champions League-Sieg und den Weltpokalsieg feiern können.

Das zwischenzeitliche Finanzchaos mit dem drohenden finanziellen und sportlichen Knockout, konnte durch rigorose Sparmaßnahmen und ein Umdenken in der sportlichen Ausrichtung, durch langfristig geplantes und seriöses Handeln, abgewendet werden. Diese vorausschauende und gut kalkulierte Vereinspolitik wird den BVB über kurz oder lang wieder zu einem Aushängeschild des deutschen und internationalen Fußballs reifen lassen.

Etwas schwieriger gestaltet sich die Rückkehr ins Rampenlicht für den Chemnitzer FC. Auch dort wurden in der Vergangenheit eklatante Fehler begangen, die noch bis heute nachwirken. Erst seit bei den Himmelblauen Kontinuität und Vernunft in die Vereinsführung eingekehrt sind, geht es langsam aber stetig bergauf. Es ist dem Club und seinen vielen treuen Fans sehr zu wünschen, dass man in dieser Spielzeit - unter der Regie von Trainerfuchs Gerd Schädlich - den Aufstieg in die 3. Liga realisieren kann.

Der BVB wirbelt derzeit durch die Bundesliga, grüßt vom zweiten Tabellenplatz und spielt auf internationaler Ebene, während der CFC in der Regionalliga Nord weilt. Dort ist der sächsische Kultclub allerdings mit sieben Siegen und einem Unentschieden aus den ersten acht Partien Tabellenführer, hat zudem in der ersten Runde es DFB- Pokals den Erstligaaufsteiger St. Pauli mit 1:0 besiegt.

Begegneten sich im Herbst 1990, der gerade von FC Karl- Marx- Stadt in Chemnitzer FC umbenannte CFC und Borussia Dortmund noch nahezu auf Augenhöhe, liegen heute (sportliche) Welten zwischen beiden Vereinen.

20 Jahre nach dem denkwürdigen UEFA-Cup-Spiel des 2. Oktober 1990 blicken die Fans beider Vereine auf eine bewegte Zeitspanne mit ihren Clubs zurück. Heute besteht ein Dreiklassen-Unterschied, aber Gemeinsamkeiten gibt es trotzdem reichlich: Beide Vereine erlebten in den zwei Jahrzehnten seit der Wiedervereinigung viele Höhen und Tiefen, beide Vereine starten derzeit auf ihrem Level richtig durch und beide Vereine haben aufgrund ihrer Grundausrichtung und Vereinspolitik eine sportlich erfolgreiche Zukunft vor sich.

Diese positiven Perspektiven herrschen nicht zuletzt wegen einer weiteren Gemeinsamkeit vor: beide Vereine dürfen sich glücklich schätzen, rückhaltlos von ihren treuen Fans unterstützt zu werden. Quantitativ hat der BVB da sicher deutliche Vorteile aufzuweisen, aber qualitativ stehen sich beide Fangruppen in Nichts nach.

Spannend ist der Ausblick, über was wir in weiteren 20 Jahren, am 2. Oktober 2030, aus den Lagern beider Clubs berichten können. Vielleicht gibt es bis da hin auch wieder sportliche Vergleiche beider Traditionsvereine. Wir dürfen gespannt sein.


Teams und Tore: 1. Uefa-Cup-Runde der Saison 1990 / 1991:


Hinspiel, Dienstag, 18. September 1990, 20:00 Uhr im Dortmunder Westfalenstadion:

Zuschauer: 30.124, Schiedsrichter: Martin-Navaret (Spanien)

Aufstellung Borussia Dortmund: De Beer, Helmer, Gorlukowitsch, Quallo, Schulz, Lusch (64. Breitzke), Franck, M. Rummenigge, MacLeod, Povlsen, Mill; Trainer: Horst Köppel

Aufstellung Chemnitzer FC: Schmidt, Barsikow, Bittermann, Müller, Laudeley, Köhler, Heidrich, Seifert (78. Ziffert), Keller, Mehlhorn, Mitzscherling (79. Spranger); Trainer: Hans Meyer

Tore: 1-0 (20.) Thomas Helmer, 2-0 (90.) Frank Mill


Rückspiel, Dienstag, 02. Oktober 1990, 18.00 Uhr, Ernst Thälmann-Sportforum:

Zuschauer: 20.000, Schiedsrichter: Hackett (England)

Aufstellung Chemnitzer FC: Schmidt, Barsikow, Seifert, Laudeley, Keller, Köhler (22. Müller), Ziffert, Steinmann, Mehlhorn, Spranger (74. Dzurjak), Mitzscherling; Trainer: Hans Meyer

Aufstellung Borussia Dortmund: De Beer, Helmer (77. Kutowski), Gorlukowitsch, Quallo, Schulz, Lusch (66. Franck), Zorc, M. Rummenigge, MacLeod, Povlsen, Mill; Trainer: Horst Köppel

Tore: 0-1 (24.) Thomas Helmer, 0-2 (50.) Michael Rummenigge.


Dieser Artikel erscheint auch auf >> www.cfc-fanpage.de

, 2. Oktober 2010
Fotos (3): Archiv "Treue Dortmunder'88"

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