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Auswärtssieg!

Ja, es war der erwartet heiße Tanz, das Spiel gegen die Türkei im Berliner Olympiastadion. Südländische Atmosphäre und Missfallensbekundungen gegen den deutschen Nationalspieler Mesut Özil prägten die Stimmung. Der wiederum hat sich beim 3:0-Sieg der DFB-Elf im EM-Qualifikationsspiel gegen die Türkei eine Fußverletzung zugezogen. Doch viel mehr schmerzten den Jungen aus dem Kohlenpott die Pfiffe. Sie haben es einem der Ihren nicht verziehen, dass er die Seiten gewechselt hat und machten überhaupt keine Anstalten, seine freie Entscheidung mit Toleranz zu akzeptieren.

Bei jeder Ballberührung wurde der türkischstämmige Nationalspieler im Trikot der DFB-Elf von den türkischen Fans ausgepfiffen. Dazu reckten Unverbesserliche ein Plakat mit der Aufschrift ?Diese Fans könnten für dich jubeln, Özil!? in den Himmel. Allerdings verunsicherten die Buhrufe den Profi von Real Madrid nur zeitweilig, dann schlug er zu und schoss zusammen mit Miroslav Klose das DFB-Team zum Sieg. Aus Respekt vor den Menschen aus dem Land seiner Vorfahren jubelte der Mittelfeldakteur nach seinem dritten Tor für Deutschland aber nur ganz still und in sich gekehrt.

Es wurde also tatsächlich eine Art ?Auswärtsspiel? für die DFB-Elf. Und es wäre übertrieben, dass der Ausgang der Partie nebensächlich gewesen sei. 3:0 hieß es am Ende für die Gastgeber, denen auch Nuri Sahin bescheinigte, ?verdient, aber um ein Tor zu hoch? gewonnen zu haben.

Die Stimmung im Berliner Olympiastadion übertraf dennoch beinahe jedes DFB-Pokalfinale an gleicher Stelle. Und dafür sorgte die stattliche Mehrheit türkischer Fans. In der Überzahl waren sie wie erwartet und lautstärker auch. Der Reim des Tages aber lautete ebenso ungelenk wie plakativ: ?Ob Pommes mit Ketchup, ob Döner mit Fleisch ? alle Menschen sind gleich?.

Oben auf der Ehrentribüne verteidigte unterdessen der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ? mit sowohl rot-weiß als auch schwarz-rot-golden geteiltem Fanschal neben Kanzlerin Angela Merkel sitzend ? Özils Entscheidung, für Deutschland zu spielen: ?Ich verstehe ihn sehr gut. Jeder Türke sollte in dem Land spielen, in dem er lebt.? Kurzdrauf ließ er es sich, wohl angetan von dem Drumherum nicht nehmen, voller Stolz zu verkünden: ?Es ist ein Fußballfest für uns. Ich fühle mich nicht als Gast hier, ich fühle mich zu Hause.? Kein Wunder, mussten Kanzlerin Merkel und Bundespräsident Christian Wullf doch Buh-Rufe über sich ergehen lassen, während es für ihn stehende Ovationen gab.

Dafür sorgten seine Landsleute im Olympiastadion. Hätte Erdogan beim Public Viewing am Oranienplatz in Kreuzberg, dort wo 30 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben, Fußball geschaut, er hätte vor den Leinwänden das oft gepriesene deutsch-türkische Fest verfolgen können ? das dem Vernehmen nach friedlich blieb.



Den Steuerzahler kostet diese ?freundschaftliche Atmosphäre? Millionen, denn nicht weniger als 1200 Polizisten waren rund um das Spiel im Einsatz. Mit Spezialkontrollen sollte u.a. das Einschmuggeln der in türkischen Stadien extrem populären bengalischen Fackeln verhindert werden was, wen wundert's, erfolglos blieb. Das gleißend rote Licht loderte nahezu in jedem zweiten Block. In der Bundesliga wäre jeder der Zünder aus dem Block geholt und verhaftet worden...

?Wohlgefühlt? haben sich die Zuschauer dennoch, wie es Angela Merkel zum Ausdruck brachte: ?Es herrscht eine tolle Atmosphäre, sehr schön?, diktierte sie den Journalisten in die Notizblöcke. Und dann wollte sie wohl so etwas wie staatstragend klingen: ?Der Sport kann Probleme lösen. Nicht überall, aber die Nationalmannschaft kann es. Schön, dass auch jene mit Migrationshintergrund hier miteinander spielen.? Und zum Glück auch jenen ohne Migrationshintergrund, möchte man hinzufügen.

Joachim Löw ordnete den Sieg wie immer emotionslos realistisch ein. ?Natürlich bin ich zufrieden mit meiner Mannschaft?, erklärte der Bundestrainer. ?Wir standen schon etwas unter Druck, das war ja schon so etwas wie ein Auswärtsspiel ? zumindest als wir rauskamen zum Aufwärmen. Da waren ja fast nur türkische Fans da. Nach dem Anpfiff jedoch habe die Mannschaft ?einen unglaublichen Willen und sehr viel Einsatzfreude gezeigt?.

Die Bilanz des Badeners nach seinem 60. Spiel als Bundestrainer fiel bescheiden aus: ?Das war ein verdienter Sieg für uns. Ich wusste, dass das enorm schwer wird, denn für die Türken ist so ein Spiel gegen Deutschland natürlich eine Frage der Ehre.?



Und so blieb als Fazit am Ende stehen, dass Deutschland von den wacker kämpfenden Türken nicht daran gehindert werden konnte, weiter souverän durch die EM-Quali zu spazieren. Bei allem Engagement fehlte es der Bosporus-Auswahl oft an taktischer Disziplin. Aussetzer, wie der von Keeper Volkan Demirel in der 87.Minute, als er ?Geschichtsbuch-Klose? zum 56. Tor einlud, waren symtomatisch.

Zur Feier des Tages hat Miro Klose in seinem 104. Spiel für Deutschland seine ohnehin imponierende Trefferbilanz noch einmal einen Tick aufgehübscht, doch auch er blieb wohltuend bescheiden: ?Ich habe zwar nun Franz Beckenbauer überholt, was die Zahl der Länderspiele angeht, aber wenn man sich die Namen Klose und Beckenbauer ansieht, da ist schon ein großer Unterschied."

Die mannschaftliche Vorstellung aber erinnerte über weite Strecken sehr an die Leistungen bei der Weltmeisterschaft. Löws Elf eroberte durch gute Raumaufteilung und das entschlossene Attackieren häufig früh den Ball und kam dadurch oft in Überzahl zu schnellen Konterangriffen. Kleiner Schönheitsfehler: Sie wurden leider allzu oft zu unpräzise zu Ende gespielt. Aber schauen wir nach Kazachstan.

, 09.10.2010 

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