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Länderspiel mit Sarrazin

Ein normales bundesligafreies Wochenende steht an und doch ist es aus Sicht der ?Inländer? bedeutsam. Und um dies festzustellen, hat es sicher nicht erst der Thesen Thilo Sarrazins bedurft. Die Aufmerksamkeit der gesamten Öffentlichkeit ist ausgerichtet auf das Qualifikationsspiel für die nächste Europa- meisterschaft, Deutschland gegen die Türkei. Und dann noch in der deutschen Hauptstadt Berlin, in der mit etwa 200.000 von mehr als 450.000 Ausländern, ein stattlicher Teil türkischer Abstammung beheimatet ist. Kein Drehbuch hätte es besser inszenieren können.

Und so haben sich einige Parameter im Vorfeld dermaßen verschoben, dass diesem Duell am morgigen Freitag etwas Dräuendes beiwohnt, wie es Ugur Bagislayici, besser bekannt unter dem Namen 'Django Asül' gewohnt krass ausdrückte. Es sind gewiss nicht nur diese beiden Komponenten Sarrazin und Berlin, durch die diese Partie ihre besondere Brisanz bezieht. Bengalische Feuer, frenetische, aufgeladene Fans, ohrenbetäubende Türkiye Cumhuriyeti-Anfeuerungsrufe - das Berliner Olympiastadion wird am Freitag eine Kathedrale des Krachs.

Das einzige Problem dabei: Die deutsche Fußballnationalmannschaft wird davon wohl kaum profitieren, denn es droht nach Lage der Dinge ein Auswärtsspiel zu werden. Es ist wenig verständlich, was den Deutschen Fußball-Bund geritten hat, das Heimspiel gegen die Türkei ausgerechnet in die größte türkische Gemeinde außerhalb der Grenzen dieses Landes zu legen.

Abtrünniger mit eigenem Kopf: Özil

Abtrünniger mit eigenem Kopf: Özil

Beim DFB geht man indes davon aus, dass ungefähr 40 Prozent plus x der 74.244 Anhänger im Stadion die gegnerische Mannschaft unterstützen werden. Die deutschen Spieler werden sich zuweilen wohl an den Bosporus versetzt fühlen, das wird ? bei aller Wertschätzung - auch der ?Fanclub der National- mannschaft? nicht zu verhindern vermögen ? auch wenn der DFB ?vorsichtshalber? zum Spiel 25.000 weiße T-Shirts mit der Aufschrift ?Heimspiel? an die Fans verteilen lässt. Ein Treppenwitz!

Als die deutsche Nationalmannschaft zuletzt in der EM-Qualifikation gegen die Türkei spielte, kamen die Gäste bereits schon einmal in den Genuss eines zusätzlichen Heimspiels. Das war 1999 und unter der Regie des so arg unglücklich agierenden "Sir" Erich Ribbeck. Seine Elf würgte sich da ein grauenhaftes 0:0 ab. Spielstätte war damals übrigens München, aber auch hier waren die deutschen Fans deutlich leiser als die des Gegners. Vielleicht kommt das aber Bundestrainer Joachim Löw auch ganz recht. Der hat in seiner Amtszeit bisher neun Länderspiele verloren - allerdings noch kein einziges ?auswärts?

Doch das ist ja nicht alles. Wenn Deutschland gegen die Türkei spielt, kommt es ja auch zum brisanten Duell zweier Jungstars mit türkischen Wurzeln, was der Blätterwald in ganz Deutschland in den letzten Tagen rauf und runter geschrieben hatte: Neu-Madrilene Mesut Özil spielt für Deutschland, während unser Nuri Sahin vermutlich für die Türkei aufläuft. Da gibt es alles zu lesen, was das Herz begehrt. Und sogar Wetten kann man drauf, wer von beiden mehr Tore schießt. Trifft Özil häufiger als Sahin, liegt die Wettquote bei 3,75, sollte Sahin öfter treffen, liegt sie sogar bei 9,00. Da winkt ein Vermögen?

Apropos Vermögen: Ex Borusse Erdal Keser wirbelte einst in den 80er-Jahren durch das Westfalenstadion. Zwischen 1980 und 1987 spielte er 106-mal für Borussia Dortmund. Heute ist der gebürtige Dortmunder im Auftrag der türkischen Verbandsführung als Leiter des Europa-Büros hinter buchstäblich jedem Talent her, um es der integrativen Arbeit des DFB im Rahmen des Sammer-Plans noch zu entreißen. Von seinem Büro in Köln aus arbeitet er sich mit 25 Talentspähern durch die Republik. ?Uns geht es vor allem schon um die Junioren-Nationalmannschaften. Bei der U15 fangen wir an, und wir haben drei bis vier Spieler aus Deutschland pro Jahrgang in unseren Teams?, zieht Keser befriedigt Bilanz.

Einem von seinen ?dem Geburtsland abgwendeten? aber ist dies nicht genug. Ausgerechnet der telegen wie kommunikative Hamit Altintop sieht sein Weltbild getrübt. Dass Fußballer mit Migrationshintergrund für Deutschland spielen, sei kein Beweis für gelungene Integration. Das ist ja so falsch nicht. Und mit der Feststellung, dass ?Fußball manchmal eine Herzensangelegenheit ist, aber viel öfter Business", sagte der gebürtige Gelsenkirchener in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung auch nix ganz und gar unwahres.

Dann aber wurde er entgegen seiner sonstigen Statements doch noch ungewohnt deutlich: Er könne die Entscheidung Özils für die DFB-Auswahl absolut nicht nachvollziehen: "Ich bin ein toleranter Mensch und respektiere Mesuts Weg, aber unterstützen kann ich ihn nicht." Dann schwadronierte er von einer riesen Lobby, die sein Gelsenkirchener Kollege im deutschen Nationaltrikot ihm gegenüber genießen würde, ?sonst wäre er nicht bei Real Madrid, so einfach ist das", ließ Altintop uns an seinem Problem teilhaben. Von ?Futterneid? ist da natürlich keine Spur.

Borussia?s Nuri Sahin kann davon kein Lied singen. Er musste sich alles hart erarbeiten. Seit 2001 bereits beim BVB, avancierte er in der Stunde größter Not unter dem heutigen ?Bondscoach? Bert van Marwijk schon früh zum Shootingstar ?seines? BVB. Sein Werdegang ist geprägt von Superlativen. 2005 aus der B-Jugend in den Profikader, erzielte der 16-jährige als jüngster Bundesliga-Debütant aller Zeiten sein erstes Bundesligator.

Morgen erneut Konkurrenten im Mittelfeld?

Morgen erneut Konkurrenten im Mittelfeld?

Im gleichen Jahr absolvierte er sein erstes Länderspiel ? ausgerechnet gegen sein Geburtsland Deutschland. Auch hier gelang dem BVB-Kicker in der 85. Minute das 2:1-Siegtor als jüngster Nationalspieler der Türkei aller Zeiten. Über den einjährigen Umweg auf Leihbasis bei Feyenoord Rotterdam 2007/08, kam der gebürtige Lüdenscheider fast perspektivlos nach Dortmund zurück. Doch er biss sich durch und arbeitete hart an sich. Inzwischen spielt Nuri in einer Verfassung, dass er aus der Elf von Jürgen Klopp absolut nicht wegzudenken ist. Jetzt gilt es, seinen Nationaltrainer Guus Hiddink zu überzeugen.

Ständig angesprochen auf seine Wahl, für das Heimatland seiner Eltern zu spielen, antwortete er kürzlich vielsagend: ?Ich fühle mich als Türke, aber Deutschland ist meine große Liebe. Ich habe mir von beiden Kulturen das Beste herausgezogen.? Eine Aussage, die eine Karriere im diplomatischen Dienst in Aussicht stellen könnte.

Aber zurück zum Spiel. Der sportliche Vergleich weist das letzte Aufeinandertreffen wie folgt aus: 3:2-Sieg gegen die Türkei bei der EM 2008, als die deutsche Nationalmannschaft im St. Jakob-Park überaus nervös und unkonzentriert zu Werke ging und Lahm?s Last Minute Treffer und den lieben Gott benötigte, um den Finaleinzug am Ende perfekt zu machen. Leichter wird?s diesmal bestimmt auch nicht. Großkreutz nicht dabei, Schweinsteiger auch nicht?

Doch allein der Gedanke an dieses packende Aufeinandertreffen dürfte bei einigen Fußball-Spielern an diesem Tag vermutlich das Fußballherz etwas höher schlagen lassen. Die Rivalität auch. Und wer weiß: vielleicht meldet sich ja anschließend auch der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan mal wieder ereignisreich zu Wort?

, 08.10.2010

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