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Vom Versagen...

Sind das die Kanonen mit denen der Trainer abgeschosen werden soll?

Sind das die Kanonen mit denen der Trainer abgeschosen werden soll?

Dieser Beitrag ist der Versuch einer Annäherung an ein Phänomen. Borussia Dortmund versagt seit spätestens der Meisterschaft 2002 regelmäßig dann, wenn es um mehr als die goldene Ananas geht. Die Zusammensetzung des jeweiligen Teams und die dafür verantwortlichen Trainer waren stets unterschiedlich. Die Liste reicht von Matthias Sammer über Bert van Marwijk und Thomas Doll bis zu Jürgen Klopp. Zum Teil unfassbare Niederlagen kassierten Teams, in denen Jürgen Kohler, Stefan Reuter, Marcio Amoroso, Jan Koller und Tomas Rosicky ebenso standen wie André Bergdölmo, Juan Ramon Fernandez, Philipp Degen, Jan Derek Sörensen oder auch die aktuelle Truppe der vergangenen drei bis vier Jahre. Der BVB und sein notorisches Versagens-Gen ? ein Rätsel, purer Zufall oder selbstmitleidige Einbildung einer seit Osnabrück einmal mehr konsternierten Fan-Gemeinde?

Wir wollen gewinnen, und wir werden gewinnen

Norbert Dickel hat diesen Satz vor wenigen Jahren vor einem Derby im Westfalenstadion gesagt. Es war eine Mischung aus Verzweiflung und Trotz im Schatten der massiven finanziellen Schwierigkeiten des BVB und einer Herausforderung des Schicksals, das es doch endlich einmal gut mit dem BVB meinen müsste. Das Derby ging damals mit Pauken und Trompeten in die Hose wie so viele andere vorher und danach. Immer wenn der BVB vor einer besonderen Herausforderung steht, wenn die Mannschaft sich beweisen will, soll und muss, wenn die Erwartungshaltung der Fans besonders groß ist, beliebt das Team auf der ganzen Linie zu versagen. Darauf kann der Fan mittlerweile schon vor solchen Spielen seine spätere Gefühlslage einstellen.

?Mir san mir? ist ein Spruch, der Spielern des FC Bayern München eingebläut wird, sobald sie zur Vertragsunterzeichnung an die Säbener Straße kommen. Streifen sie das Trikot der Mannschaft erstmals über, geht bei nahezu allen Neulingen eine wundersame Verwandlung vor sich: Spieler selbst aus der tiefsten Provinz strotzen plötzlich vor Selbstvertrauen und tragen jenes Gen mit sich, das ihnen in für die Konkurrenz unschöner Regelmäßigkeit jene last Minute-Tore einbringt, mit denen die Bayern verloren geglaubte Spiele aus dem Feuer reißen. 12 Heimsiegen und 18 Unentschieden stehen allein im Westfalenstadion 12 Siege der Bayern gegenüber. Auswärts sieht die Statistik ganz düster aus. Neun Mal gewann der BVB, er ergatterte zehn Unentschieden und verlor in München 27 Partien ? oft in nicht zu überbietender Deftigkeit. Zu den unfassbaren Ergebnissen der jüngeren Vergangenheit gehören die 1:5-Klatsche jüngst ebenso wie jenes 2:2 am 18. September 2004 vor heimischem Publikum, als der Gast quasi in der Nachspielzeit einen 0:2-Rückstand ausglich. So darf man sich die Auszählung der vielen saft- und kraftlosen Auftritte in München sparen, die in einer Torflut für den Gastgeber endeten.

Kampfkraft und unbedingter Wille zum Sieg ist auch eine Eigenschaft, die der Dortmunder Erzrivale aus Gelsenkirchen immer häufiger voraushat. Zwar gewann der BVB in der Bilanz 33 Heimspiele, aber es gab neben 17 Unentschieden inzwischen auch 25 Heimniederlagen ? in den vergangenen Jahren nahm die Serie der Heimpleiten beängstigend zu ? und zwar je mehr Derbysiege aus Sicht der Fans erzwungen werden sollten. Denn sie waren zuletzt eine Form der Kompensation des Frustes darüber, dass der BVB in der Bundesliga mehr eigene Geschichte als eine sportliche Macht und damit eine graue Maus des unkalkulierbaren Mittelmaßes ist.

So etwas schmerzt die Fans. Ihre Sehnsucht nach Prestige-Erfolgen wächst verständlicherweise. Wenn es beim BVB aber eine Ergebnis-Garantie gibt, dann jene, dass die Mannschaft grundsätzlich Spiele verliert oder über Unentschieden nicht hinauskommt, wenn die in der Tabelle besser postierte Konkurrenz in der Liga kollektiv patzt. In den vergangenen Jahren hatte es die Mannschaft sicherlich mehr als ein Dutzend Mal in der Hand, zwei, drei oder gar vier Ränge nach vorne zu springen, weil andere Mannschaften Punkte liegen gelassen hatten. Solche Spiele gingen vor heimischem Publikum schon viel zu oft gegen abstiegsgefährdete Gäste in die Hose. Die Mannschaft trat und tritt seit Jahren ständig auf der Stelle. Selbst der auf dem Silbertablett präsentierte Sprung in die Europa-League Ende der vergangenen Saison wurde in Mönchengladbach verspielt, als die Mannschaft einmal mehr nicht bedingungslos den Sieg und damit ihren eigenen Erfolg suchte, sondern einmal mehr ihre Mentalität offenbarte, in solchen Partien blutleere Ergebnisverwaltung zu spielen. Wunderte es noch jemanden, dass der HSV durch ein klares Abseitstor in der Nachspielzeit diese Spielweise bestrafte und den bereits sicher geglaubten Platz ergatterte? Die Aktiven verdienten sich den Erfolg, die Fußballbürokraten verstolperten ihre Chance, als habe man ihnen Ärmelschoner vor die Stutzen gebunden.

Zufall? Wohl kaum. Am letzten Spieltag der Saison 2002/03 vergeigte der als Meister gerade entthronte BVB sein letztes Heimspiel gegen den als Absteiger feststehenden FC Cottbus, dessen Spieler ganz schlicht um ihre eigene Ehre spielten. Der pomadige Auftritt reichte, um den BVB in die Champions League-Qualifikation zu stoßen. Nach einer 2:1-Niederlage im August 2003 beim Club Brügge siegte der BVB im Heimspiel 2:1, um dann in einem denkwürdigen Elfmeterschießen 4:2 zu verlieren. Damit war nicht nur die Champions League verspielt, es begann endgültig der finanzielle Zusammenbruch. Den zementierte das jämmerliche Versagen des BVB in der zweiten Runde des UEFA-Pokals mit einem 2:2 zu Hause und 0:4 im bis dahin weiten Kreisen unbekannten Sochaux.

Ein Jahr später brach einmal mehr das Unheil in Gestalt eines maßlos unterschätzten Qualifikationsgegners über den mittlerweile von einer schweren Existenzkrise geschüttelten BVB herein. Nach einem 1:0-Erfolg am 17. Juli 2004 in Genk verlor der BVB in einem Gruselspiel vor heimischem Publikum 1:2 gegen die im europäischen Gefüge bestenfalls drittklassigen Belgier und schied aus. Wieder waren sportlicher Erfolg und wirtschaftlich dringend notwendige Einnahmen von einer am Erfolg nicht interessierten Mannschaft verspielt worden, die taktische Anweisungen missachtete, Blei in den Füßen hatte und haarsträubende Fehler beging.

Die bemerkenswerte Stabilität im Versagen setzte sich nur ein Jahr später unvermindert fort. In UI-Cup-Spielen gegen den tschechischen Vertreter Sigma Olmütz kam der BVB im Sommer 2005 vor einer erwartungsfrohen Fangemeinde im Hinspiel über ein extrem schwaches 1:1 nicht hinaus. Den Tschechen reichte wenig später im Rückspiel ein 0:0, um alle Träume vom internationalen Geschäft, einer dringend erforderlichen sportlichen Aufwertung des BVB und dem Aufbau von ansatzweise neuem Selbstbewusstsein, erneut einen schweren Rückschlag zuzufügen. Es passt ins Bild, dass der BVB kurz nach Beginn der Meisterschaftsrunde Ende August 2005 im DFB-Pokal bei der unterklassigen Eintracht Braunschweig sang- und klanglos aus dem Wettbewerb ausschied.

Viele Fans schwärmen vom unverhofften Erfolg des BVB, als er in der vorletzten Saison tatsächlich wieder nach 19 Jahren das DFB-Pokalfinale in Berlin erreichte. Aber wieder spielte die Mannschaft schwach, als es darauf angekommen wäre, spielerische Defizite gegenüber den beileibe nicht überragend agierenden Münchnern mit Kampfkraft, Leidenschaft und unbändigem Siegeswillen auszugleichen. Im Hinterkopf spukte womöglich die Qualifizierung für den internationalen Wettbewerb schon herum. Lohn der geringen Mühe war, trotz des miserablen Abschneidens in der Liga, die Uefa-Qualifikationsrunde gegen Udinese Calcio. Eine denkbar schwache Heimleistung war entscheidend dafür, dass die Italiener im Rückspiel den diesmal famosen und unglücklich spielenden BVB aus dem Rennen warfen.

Die Reihe der rätselhaft schwachen Auftritte in so genannt richtungweisenden Partien hat sich nun fortgesetzt mit dem Pokalspiel in Osnabrück. Natürlich gab und gibt es für diverse Niederlagen oder ärgerliche Unentschieden unterschiedliche Gründe. Es saßen immer wieder andere Trainer auf der Bank. Es standen stets andere Spieler auf dem Platz. Aber der Bazillus des kollektiven Versagens, der Verzagtheit, der spielerischen Tölpelhaftigkeit, der Verstöße gegen taktische Marschrouten hat sich beim BVB fest eingenistet. Vielleicht gibt es immer noch die unheilvolle Einstellung, dass der Verein ?wer ist?, einen international immer noch respektierten Ruf, das ?schönste Stadion der Welt? und ?die besten Fans der Liga? hat ? aber im entscheidenden Augenblick nicht energisch genug darüber gesprochen wird, dass Erfolge erarbeitet werden müssen und ein großer Name ebenso wenig Tore schießt wie das Meer der treuen Fans. Mit Kampf. Mit Leidenschaft. Mit Erfolgswille. Mit Demut. Mit Respekt. Stattdessen präsentiert man Kopflosigkeit, Fehlerserien, individuelle Aussetzer, fruchtlosen Eigensinn, dürftige spielerische Leistungen und als garantierte Bank für jeden Gegner ein Hilfsprogramm zum erfolgreichen Torschuss sowie die Unfähigkeit, kaltschnäuzig und mit unbedingtem Erfolgswillen ein Spiel gewinnen.

Wo die Bayern selbst in Krisenzeiten irgendwann wieder erfolgreich ihr ?mir san mir? zelebrieren, ist der BVB mittlerweile nur noch Ankündigungsweltmeister im Fliegengewicht. ?Wir wollen gewinnen, und wir werden gewinnen.? Die goldene Ananas winkt ohne Unterlass. The same procedure as every year. Irgendwo liegt immer ein Tigerfell, über das sich beim Servieren trefflich stolpern lässt. Nur ? in diesem Theater lacht schon lange niemand mehr.

, 02.11.2009

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