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REVIER-Kolumne:

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Interview mit BVB-Marketing-Direktor Carsten Cramer (I): „Wenn man Menschen so anfixt..."

Kirsche: Du bist beim BVB Direktor für den Bereich Vertrieb, Marketing und Business Development mit Prokura. Was macht ein Mann mit einem derart wohlklingenden Titel?

Cramer: Er muss häufig erklären, was er den ganzen Tag macht - weil die Position neu geschaffen wurde und weil sie bei einem Verein geschaffen wurde, der hauptsächlich Fußball spielt. Und weil im Fall Borussia Dortmund viele dieser Begrifflichkeiten dem Vermarktungspartner Sportfive zugewiesen werden. Das macht es sehr komplex, man kann es aber auch ganz einfach erklären: Zum einen bin ich für das klassische Vereinsmarketing zuständig, die Markenbildung. Wie positioniert sich Borussia Dortmund sowohl nach außen als auch nach innen? Zweiter Schwerpunkt ist: Wie können wir das Markenbild von Borussia Dortmund kapitalisieren, die Marke kommerziell nutzen? Das betrifft das Thema Sponsoring im gewerblichen Kundengeschäft, das ist eine Steuerung der Aktivitäten von Sportfive. Und dann geht es natürlich um das Geschäft mit Privatkunden und unseren Fans. Dabei geht es um Merchandising, Ticketing. Mit dem Ziel, dies so zu optimieren, dass der Verein, aber auch seine Fans den größtmöglichen Nutzen haben.

Fehlt noch der Bereich ?Business Development?.

Cramer: Eigentlich ein Unwort, ein Anglizismus, der sich leider so eingebürgert hat. Wir wollen natürlich auch neue Geschäftsfelder entwickeln, wir stellen uns die Frage, wie wir mit neuen Medien umgehen. Oder wie wir mit sozialen Netzwerken umgehen, welche Rolle muss Borussia Dortmund in Facebook spielen? Gibt es Felder, die wir noch nicht besetzt haben, aber in Zukunft besetzen müssen? Es geht darum, zukunftsfähig zu sein. Und ich denke, es ist gut, wenn sich ein Mensch auf diese Dinge fokussiert, weil es bei anderen vielleicht immer nur Nebenaspekte sein können.

Welche Rolle muss denn der BVB bei Facebook spielen?

Cramer: Das war jetzt nur ein Platzhalter. Borussia Dortmund hat unglaublich viele Fans nicht nur im Ruhrgebiet, sondern verteilt in ganz Deutschland und weltweit. Und diese Menschen wollen auf verschiedene Art und Weise angesprochen werden. Und viele Menschen begeistern sich für die Borussia. Für die wollen wir ansprechbar sein, und das geht nicht mehr nur über Briefe und Flaschenpost. Deswegen wollen wir die neuen Entwicklungen nutzen und dabei eine neue Rolle spielen.

Dabei gibt es hoffentlich aber Grenzen, oder?

Cramer: Das ist ganz wichtig, denn unser Motto heißt nicht umsonst ?Echte Liebe?. Wir haben Authentizität, Bodenständigkeit und Bodenhaftung zu unseren Kerneigenschaften gemacht. Deswegen heißt das im Umkehrschluss, dass man nicht ?jeden Scheiß? mitmachen muss und nicht auf jeden Zug aufspringen muss, der gerade mal ins Rollen kommt.

Und derer gibt es einige?

Cramer: Und da muss man unterscheiden. Aber wenn man so ein faszinierender Verein ist, wenn man die Menschen so emotional anfixt, ist Tradition und Identität sicher das eine, aber man kann sich dennoch der Zukunft nicht verschließen. Uns ist es auch wichtig, neue Menschen für den BVB zu begeistern. Man muss auch Menschen eine Chance geben, die nicht als BVB-Fan geboren wurden, dauerhaft zu einem solchen zu werden.

Dein Aufgabenfeld ist groß. Hast Du Strukturen vorgefunden, auf denen Du aufbauen konntest oder musstest Du den Bereich komplett neu aufbauen?

Cramer: Ich habe mit dem 1. Oktober 2010 einen sensationellen Zeitpunkt zum Einstieg wählen dürfen. Ich konnte auf einen fahrenden Zug, einen ICE ? sogar einen funktionierenden - aufspringen, bei dem alles stimmte: die Maschine, der Lokführer, einfach alles. Ich war in der Situation eigentlich ein Trittbrettfahrer, der aufgesprungen ist und sich jetzt im Zug Wagen für Wagen durchkämpft, aber dem witzigerweise kaum ein Koffer in den Weg gestellt wird. Alle sind hochmotiviert und engagiert.

Ist es ein Vorteil, dass Du nicht als komplett Außenstehender gekommen bist?

Cramer: Sicher kann ich durch meine vormalige Sportfive-Tätigkeit die Struktur hier mit der Situation anderer Vereine gut vergleichen und einschätzen. Ich finde, dass Borussia Dortmund sehr gut aufgestellt ist. Und ich habe das Riesenglück, dass es sportlichen Erfolg gibt, der spielt einem bei dieser Tätigkeit natürlich in die Karten. Deshalb ist die Arbeit im Moment eine Mischung aus ?Der Boden ist an vielen Stellen schon bereitet, und ich darf ernten? und ?An anderen Stellen muss ich noch ein bisschen aussäen?. Ich muss in meiner Tätigkeit hier und da eine neue Fokussierung vornehmen, die in der Form bisher nicht stattgefunden hat.

Du hast das Geschäft bei Sportfive intensiv kennen gelernt. Was hat Dich dazu bewogen, Deine Stelle dort (Vice-President Marketing & Sales) bei dem internationalen Vermarkter zugunsten der Arbeit beim BVB aufzugeben?

Cramer: Es gibt mehrere Gründe. Zunächst einmal bin ich auch jemand, für den Bodenständigkeit und Bodenhaftung wichtig sind. Als gebürtigem Westfalen ist mir diese Ecke zum Leben und Arbeiten per se eine sehr sympathische Ecke. Zum anderen habe ich einst angefangen, bei einem Verein zu arbeiten und das immer sehr geschätzt. Dann habe ich zehn Jahre bei einer Agentur gearbeitet, was eine tolle Erfahrung war. Aber jetzt wollte ich einfach wieder zurück auf die ?andere Seite?, wieder für einen Rechteinhaber tätig sein. Und ich habe ja auch bei Sportfive schon für Borussia Dortmund gearbeitet.

Ist Dein Engagement der erste Schritt des Vereins, sich vom Vermarkter zu lösen und diese Dinge komplett selbst zu steuern?

Cramer: Sportfive hat dem Verein für die zurückliegenden und die kommenden zehn Jahre 100 Millionen Euro gegeben und im Sponsoring vieles auf den Weg gebracht. Deshalb darf man feststellen, dass es derzeit eine gute Symbiose ist. Es gibt einen starken Vermarkter, der aber auf der Vereinsseite jemanden hat, der ihn steuert. Die Kombination, die Borussia Dortmund da gewählt hat, ist schon ziemlich gut. Auch wenn es manchmal vielleicht ärgerlich ist, dass man von jedem Euro, den man verdient, ein paar Cent abgeben muss.

Wie kam es genau zu Deinem Einstieg hier? Ging die Initiative von Dir oder vom Verein aus?

Cramer: 2007 wurde ich von Sportfive in die Deutschland-Position befördert und habe mich im ersten Moment gar nicht darüber gefreut, weil ich den Job in Dortmund wirklich sehr gern gemacht habe. Das ist jetzt kein Populismus ? ich fand es hier klasse, wohl wissend, dass ich das nicht zehn Jahre lang machen kann. Ich bin hier sehr ungern weggegangen, obschon ich den Job in Hamburg dann drei Jahre auch geschätzt habe. Weil ich aber ungern hier weggegangen bin und ? aber das müsste eigentlich Aki Watzke sagen ? wir uns auch sehr geschätzt haben, ist der Kontakt nie abgerissen. Wir sind immer im Gespräch geblieben. Als Watzke signalisierte, jetzt sind wir ein bisschen besser aufgestellt und der Verein muss den nächsten Schritt machen, hat sich das Zug um Zug ergeben. Daher habe ich mich sehr gefreut, als es konkret wurde. Ich habe keinen Moment gezögert.

Der Verein ist Dir sympathisch, das ist deutlich zu merken.

Cramer: Das war er schon als Jugendlicher. Weil mein Heimatverein Preußen Münster nie in diesen Ligen gespielt hat, habe ich häufiger Spiele hier gesehen. Und nachdem ich später den Verein auf Agenturseite so gut kennen gelernt habe, war es für mich die logische Konsequenz, hier zu arbeiten, als sich die Chance aufgetan hat. Und, das darf man ja kaum sagen ? ich will auch niemandem zu nahe treten -, wenn man in diesem Stadion ist, kommt einem ja alles andere schon fast kleinkariert vor.

Der BVB hat es Dir schon richtig angetan?

Cramer: Es gibt natürlich auch andere Vereine, die gut geführt sind, schöne Stadien haben. Auch der HSV zum Beispiel hat sicher gute Bedingungen, ein cooles Umfeld. Aber das ist alles kein Vergleich zum BVB, hier ist eine komplett andere Welt. Das ist fast ein Problem: Wenn man jetzt mit 42 Jahren schon für Borussia Dortmund arbeiten darf ? was soll dann noch kommen?

Wo soll es dann noch hingehen?

Cramer: Am besten bleibt man hier!

Die Identifikation scheint groß. Inwieweit kann jemand in Deiner Position zum ?Fan? werden?

Cramer: Die Fans werden es nicht gut finden, wenn ich sage, ich bin auch Fan, denn sie definieren Fan-sein natürlich anders. Aber ich finde, man kann von diesem Verein nur Fan werden, weil alles so emotional ist. Und ich finde, man muss Menschen auch das Recht zusprechen, sich als Fan zu artikulieren, wenn man nicht als solcher geboren ist, wenn man nicht 20 Jahre Südtribünen-Erfahrung hat. Weil es einfach faszinierend ist ? es gibt nicht mehr. Und es ist nicht austauschbar.

Zurück zu Deiner Arbeit. Wie groß ist Dein Bereich, wie viele Leute arbeiten dort?

Cramer: Formulieren wir es mal anders herum: Am Ende sind wir für alle Gelder verantwortlich mit Ausnahme der Fernsehgelder, die von uns nicht zu beeinflussen sind. Wir sind also verantwortlich für eine Summe von ca. 90 Millionen Euro, mit dem Ziel, mehr draus zu machen. Direkt für diesen Bereich arbeiten neun Leute. Aber dann muss man die Kollegen vom Merchandising, Ticketing, Sports & Bytes hinzuzählen, dann sind es einige mehr. Wie viele kann ich gar nicht genau sagen. Eigentlich alle, die Kontakt zu unseren Fans, Kunden, ?zur Außenwelt? haben.

Ist angedacht, dass Du Unterstützung aus dem Verein bekommst ? vor Jahren war einmal im Gespräch, dass Lars Ricken im Bereich Marketing Aufgaben übernehmen soll (allerdings bevor er Nachwuchskoordinator wurde und bevor Du kamst)?

Cramer: Damit hätte ich kein Problem, das sehe ich ganz unverkrampft. Im Gegenteil: Die Menschen interessiert nicht, was Carsten Cramer macht, die Menschen interessiert Schwarz-Gelb. Und wer sind die Menschen, die Borussia Dortmund ausmacht? Unsere ehemaligen und aktuellen Protagonisten. Deshalb freue ich mich auch, dass Nobby Dickel in meiner Truppe dabei ist, der einfach ein gewinnbringender Mensch ist. Der den Menschen so viele tolle Momente bereitet hat. Das kann ich gar nicht, ich bin lediglich ein Vermittler von Emotionen und Nähe. Aber am Ende ist sicher die Mischung entscheidend, nur mit Ehemaligen geht es auch nicht. Die Kombination macht es, und auch da ist Borussia Dortmund prima aufgestellt. Was kann Aki Schmidt für Geschichten erzählen?

Du hast Nobby Dickel mal als Stadionsprecher vertreten. Könntest Du Dir vorstellen, das wieder einmal zu tun oder wäre das nicht mit Deiner jetzigen Position vereinbar?

Cramer: Nein, das war eine einmalige Sache. So krank wie an jenem Tag wird Nobby nicht nochmal. Ich war fasziniert, dass ich das machen durfte, habe auch versucht, ihn nicht zu kopieren. Aber man hat sicher schnell gemerkt, dass das Original besser ist als seine Vertretung.

Du bist jetzt gut drei Monate hier, wie fällt Deine 100-Tage-Bilanz aus?

Cramer: Für mich persönlich war es die richtige Entscheidung zum richtigen Moment. Viele Türen stehen offen, und ich bin jetzt noch faszinierter vom Thema Borussia Dortmund, als ich es zuvor als Außenstehender ohnehin schon war. Das Umfeld hier ist ungeheuer engagiert, aber auch ungeheuer diszipliniert. Hier dreht keiner am Rad. Deshalb bin ich mit den ersten 100 Tagen sehr zufrieden. Vieles mündet aber auch noch in Beobachtung, weniger in konkrete Umsetzung.

Mit wem arbeitest Du besonders eng zusammen? Ist es Zufall, dass man Dich bei Spielen häufig neben Hans-Joachim Watzke auf der Tribüne sieht?

Cramer: Wir haben schon einen sehr guten Draht zueinander, und er ist für mich nicht der Haupt-, sondern DER Ansprechpartner. Unsere Zusammenarbeit würde ich als extrem gut bezeichnen. Die Rückendeckung, die ich von ihm bekomme, führt zu einem großen Gestaltungsspielraum. Wenn man jeden Schritt abklären müsste, dann wäre es keine interessante Tätigkeit.

Den nötigen Freiraum hast Du aber?

Cramer: Es gibt hier extrem kurze und ganz schnelle Entscheidungswege, was nicht typisch für einen Verein ist. Beim BVB wird nicht groß lamentiert, seziert oder zu viel diskutiert. Und so haben wir in kurzer Zeit schon einige gute Ideen entwickelt und umgesetzt wie diese ?BVB total?-Idee oder den Werbespot auf Sat 1. Und wir reichen mal schnell kurz und unkompliziert den Menschen in der Vorverkaufsschlange Tee und Kaffee, wenn sie sich in der Kälte an der Geschäftsstelle für Derbykarten anstellen. Mit solchen kleinen Maßnahmen versuchen wir, kunden- und serviceorientierter zu werden.

Bist Du bei jedem Spiel dabei, wo ist Dein Platz im Stadion?

Cramer: Klar bin ich bei jedem Spiel. Am Ende arbeiten wir doch für diese 34 Feiertage, da ist es selbstverständlich, im Stadion zu sein. Ich habe mich mit Händen und Füßen gewehrt, den Sitzplatz in der Geschäftsführungsriege anzunehmen, weil ich die letzten acht Jahre immer gestanden habe, im hintersten Bereich von Block 27. Dort war immer hinter einer Sitzreihe Platz, wo wir mit einigen Kollegen waren. Ich war sehr glücklich, dass ich eine Arbeitskarte hatte und keinen nummerierten Platz. Aber das ließ sich jetzt argumentativ nicht mehr verhindern? Ich finde das nett, aber wenn ich stehen kann, geht es mir emotional besser. Eigentlich sitze ich ungern, wenn der BVB spielt.

Im zweiten Teil des Interviews sprechen wir mit Carsten Cramer
über das ?M-Wort?, über Japan und über den Stadionnamen.


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