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Ein Tag unter Freunden

Es kann nicht lange gedauert haben, bis ich den Jungs mit Vokuhila-Frisur und breitem Grinsen Ihre Namen zuordnen konnte: Sergej Gorlukowitsch, Michael Zorc, Stéphane Chapuisat und Wolfgang de Beer, der mir nicht erst seit diesem, meinem ersten BVB-Mannschaftsposter unter dem Namen "Teddy" bekannt war.

Es war die Saison 1991/1992: Das spannende Saisonfinale eben jener Saison verfolgte ich auf und ab stehend vor dem Radio im Zimmer meines großen Bruders, dem ich das alles bis heute zu verdanken habe: Meine Liebe zu Borussia. Ein Tag nach dem der VfB Stuttgart dem BVB im 4-Minutenendspurt den Titel doch noch stahl, stehe ich erstmals auf dem Friedensplatz und empfange mit Tausend anderen den neuen Vizemeister Borussia Dortmund. Die Tragweite dieses so denkbar knappen Saisonfinales ist mir zur damaligen Zeit wahrlich nicht bewusst. Für mich ging es hier doch eh nur um die einzig wahre Entdeckung - "da ist Teddy". Ja, die Fußball-Welt eines gerade siebenjährigen war eben gemessen an heutigen Ansprüchen doch recht klein und schnell befriedigt. Meistertitel hin oder her. Borussia, so viel stand für mich fest, war unbesiegbar.

Bis zu meinem ersten Livespiel gegen Bayer 05 Uerdingen auf der Nordtribüne des Westfalenstadions sollen noch einige Monate vergehen und dennoch wurde die schwarzgelbe Welt für mich von Tag zu Tag größer. Im Herbst des Jahres '92 haben illustre Spieler, wie Ned Zelic, Flemming Povlsen und auch Christof Osigus das Mannschaftsfoto meiner Borussia komplettiert, ein junger Schweizer Torjäger ? kurz "Chapi" genant ? kam dem Idol ?Teddy? auf der geheimen ?Strukampschen Beliebtheitsskala? gefährlich nahe und von meinem Bruder wurde mir eindringlich erklärt, dass man als echter BVB-Fan gefälligst auch ein paar Sympathien für den HSV und Celtic Glasgow haben muss.

Wahrscheinlich hätte er mir zur damaligen Zeit auch mit Tasmania Berlin oder dem FC Motherwell kommen können, aber gut dann sollte mein Fokus eben auch auf Hamburg und den Celtic Football Club gerichtet werden. Es vergingen nur wenige Wochen, da liegt ein BVB und HSV "in ewiger Freundschaft"- Aufnäher fein säuberlich neben meinem schwarzgelben Schal, der mich auf so liebenswerte Art über die Erfolge der 50er und 60er Jahre aufklärte. Um ihn jetzt auf irgendeine Jeans nähen zu lassen, war mir das gute Stück zu wertvoll und so fristet es womöglich bis heute sein tristes Dasein in irgendeiner alten Umzugskiste auf dem Dachboden, was aus tagesaktueller Sicht nicht überprüft werden braucht...

Meine erste Erinnerung an Celtic muss aus der Uefa-Cup Saison 1992 gewesen sein. An eben jenes 1:0 gegen den Klub, den ich gefälligst auch zu mögen hatte, kann ich mich erst Jahre später wieder richtig ?greifbar? erinnern. Wie damals üblich brachte Stéphane Chapuisat den BVB an eben jenem 19. Oktober auf die Siegesstraße. Zwei Wochen später ist es wieder "Chapi", der neben seinem Kapitän Michael Zorc, das frühe 1:0 der Schotten durch Creaney doch noch in einen Sieg ummünzen kann. Es ist der vierte BVB-Sieg im vierten Vergleich mit den Celts und ein schöner dazu.

Über die Emotionen des legendären Europapokalspiels 1987, als Borussia erstmals auf die "Bhoys" vom Glasgower East End traf und nach 20 Jahren erstmals wieder die 2. Runde eines Europapokal-Wettbewerbs erreichte, klärte mich youtube irgendwann etwas ausführlicher auf. "Verfluchter Jungspund"? ich weiß. Aber letztendlich ist genau das auch die Bürde meines Jahrgangs. Erzählungen von früher sind meist verbunden mit irgendwelchen TV-Übertragungen aus Glasgow oder eben Madrid. Borussia wirklich ?live? zu sehen, kam gefühlt genau so oft vor, wie Weihnachten und Neujahr.

Gegen Uerdingen und Bielefeld, ja da durfte man vielleicht mal wieder mit, aber Hand auf?s Herz: war das das Gleiche? Die großen Spiele haben ironischerweise auch nur die "Großen" mitgemacht. Staunend steht man folglich heute daneben, wenn ihr Älteren respektvoll von "damals" sprecht. Von Reisen im Wohnmobil nach La Coruna, dem Weihnachtsmarkt in Prag oder Champions-League in Bukarest. Von ganz "früher", als der BVB noch im Stadion Rote Erde spielte oder als Kutowski mit dem Turban den Rasen umpflügte und Michael Rummenige '93 als einziger Dortmunder im Finale gegen Juve traf.



Statt live dabei zu sein, schnappte man sich früher die Westfälische Rundschau, schnitt die Fotos des gestrigen, meist siegreichen Spiels, das man wieder einmal nur im Wohnzimmer an der Glotze verfolgte, fein säuberlich aus und heftete sie ordnungsgemäß im schwarzgrauen BVB-Ordner ab. Warum auch immer, aber ich glaube heute noch, dass man so zumindest das beruhigende Gefühl hatte, irgendwie doch dabei gewesen zu sein. Damals. Früher. Als noch alles besser war ? sagen viele.

Heute aber schreiben wir das Jahr 2009. Aus dem siebenjährigen Jungen vom Friedensplatz ist ein 24-jähriger Fußball-Fan mit inzwischen hunderten Livespielen in ganz Europa geworden. Und da uns Borussen nach Udine und Trochowski?s irregulärem Tor in Frankfurt ein echter Europapokalabend auch weiterhin leider völlig verwehrt bleibt, machte ich mich vergangene Woche an einem kühlen und leicht regnerischen Donnerstagabend auf in Richtung Volksparkstadion:

Aufarbeitung mit der Geschichte - das miterleben, was mir früher zwar gepredigt, aber ebenso verwehrt blieb: Ein Flutlichtspiel vom "The Celtic Football Club" erleben - jenen Klub, den man gefälligst auch zu mögen hat. Treffend ausgerechnet gegen den Klub, dem man als Dortmunder Youngster "ewige Freundschaft" schwor. Zugegeben, als ich die Stufen der Osttribüne erklimme und das obligatorische "Hamburg meine Perle" ertönt, wird man auch als zugezogener Hamburger leicht emotional angehaucht, doch das alles ist nichts gegen die Faszination für einen Club, den ich heute, an jenem 6. November 2009, gefühlte drei Jahrhunderte nach Chapis 1:0 am 19. Oktober 1992, endlich erstmals wirklich live sehe: Den Serienmeister aus der St. Mary's Hall an der East Rose Street, dem Gründungsort der Celts.

Auf der gegenüberliegenden Seite von mir haben es sich vielleicht gut 4000 Schlachtenbummler in den weltbekannten emerald green and white hoops, den gestreiften Celtic-Trikots, bequem gemacht. Die Südwest-Ecke des ehemaligen Volksparkstadions ist übersät mit irischen Flaggen, die unlängst symbolisch für Celtic und seine immigrierten, irischen Gründungsväter stehen. Inmitten der grün-weiß-orangen Farbenpracht erspähe ich plötzlich ein Banner aus Dortmund. Zumindest das ist seit dem letzten Aufeinandertreffen zwischen unserem BVB und den "Bhoys" vor 17 Jahren geblieben.



Den Hamburgern ist der Kult um den Club aus dem Celtic-Park merklich zu viel. So sympathisieren die Rothosen im Gegensatz zu ihrem Stadtrivalen zumindest seit dem Sieg im Hinspiel, wohl aber schon länger mit dem Erzrivalen Glasgow Rangers. Vielleicht oder gar wahrscheinlich aus Trotz, weil sich die Celtic-Supporter offensichtlich dem Kiezklub zuwenden? Egal, immerhin pünktlich zum Anstoß und übermäßig deutlich, nimmt ein Union-Jack in den Hamburger Vereinsfarben, der ursprünglich das Zugehörigkeitsgefühl der Rangers zur britischen Krone ausdrückt,  die Nordtribüne im Volkspark ein.

Das Spiel unterdessen ist zwar unterhaltsam, aber wenig spektakulär. Bei Chancen der in neongelbgrün-schwarz spielenden Schotten erhebe ich mich immer wieder spontan von meiner Sitzplatzschale, beruhige mich aber meist genau so schnell wieder, wenn Samara oder McDonald die Kirsche wenig gekonnt neben den Pfosten setzen. Als Schiedsrichter Carballo aus Spanien nach 93 Minuten die torlose Partie abpfeift, klatsche ich Beifall und weiß ehrlich gesagt gar nicht warum.



Als mich mein Nachbar mit dem HSV-Schal fragt, wieso ich denn ausgerechnet Celtic mag, bin ich selbst überrascht, dass ich ihm spontan keine gescheite Antwort geben kann. Weil meine Mutter, so wie der Zufall wollte, in Glasgow geboren wurde, nein das ist es nicht. Weil ich den Jungs da drüben meinen allerhöchsten Respekt zolle, nein ich glaube nicht. "Du wirst lachen", sage ich leicht verspätet. "...vielleicht, weil mein Bruder mir irgendwann Anfang der 90er Jahre mal sagte, dass man als Dortmunder auch Celtic und den HSV mögen muss". Das Interesse am HSV ging leider irgendwo verloren, als Bäron, Ivanauskas und Golz längst nicht mehr die Raute trugen und als irgendwelche "Besser-Fans" die Meinung formten, dass ?alles außer Dortmund scheiße sei? und Fanfreundschaften als Reliquien der 90er eher verspottet wurden und scheinbar nicht mehr zum modernen Fußball passten.

Die Faszination für den Klub aus dem Stadtteil Bridgeton Parkhead dagegen ist erhalten geblieben ? und das geht sicher vielen im schwarzgelben Lager ähnlich. Man mag sie einfach. Ihre Art bedingungslos und frenetisch ihren Club zu begleiten und anzufeuern, ist unserem Engagement sehr ähnlich. ?Celtic? ist mein persönliches Aushängeschild für eine goldene Dortmunder Zeit, deren Anfänge ich mit dem Kopf daheim und den Gedanken im Stadion erleben durfte - besser wohl musste.

Vielleicht steht er aber auch einfach für eine Sehnsucht nach alten Zeiten, als die Jungs mit den Vokuhila-Frisuren und den Grinse-Gesichtern einen noch glauben ließen, Borussia wäre unbesiegbar.

, 10.11.2009 

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