Magazin für Freunde des Fußballs und seiner Kultur

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Hinsetzen, hinsetzen!!

Nein, nein, Freunde. Josef Blatter besucht nicht die Bundesliga, wo nach jedem gewonnenen Spiel Freiübungen und ein Karnevalshit der vermieften Vor-1968-Jahre zum Kult erhoben wurde. Der sinnreiche Text ?Humba, humba tätätärä", vorgetragen vom singenden Dachdecker Ernst Neger (Hinweis an alle politisch Korrekten: Der Mann hieß tatsächlich so) und dem blinden Pianisten Toni Hemmerle, war keineswegs der närrische Abgesang auf den 1989 untergegangenen zweiten deutschen Staat, der mitunter mit nach landsmannschaftlichem Idiom gefärbter Sprache nicht ?D-ede-err?, sondern ?tätärä? gerufen wurde. Der stehende Zuschauer stimmt heute jene ?Humba? an, deren spießige Herkunft jedem Ultra Dauerübelkeit verursachen müsste.

Die Übung ist bekannt. Der stehende Zuschauer ist verzückt und sucht die bewegungsfreundliche Gemeinsamkeit mit erschöpften Recken auf dem Rasen. Sie erfüllten die Erwartung und gewannen. So wendet der Fan den Lieblingen nicht die notfalls blanke Kehrseite, sondern die höchstmögliche Zuneigung zu. Der Fan singt und ruft und erwartet, dass die ausgepumpten Kicker sich im Kollektiv anschließen. Damit die Humba gelingt, gilt es Vorbereitungen zu treffen. Der Fanchor fordert daher von den Fußballern lautstark und mehrfach im skandierenden Ton: ?Hinsetzen, hinsetzen!? Das ist an sich erstaunlich, da er noch während des laufenden Spiels mit Inbrunst angestimmt hat: ?Osttribüne, steh auf? und ?Westtribüne, steh auf!? Manchmal begnügt er sich mit einem harschen ?Aufstehn, aufstehn!?. In letzter Zeit war zu hören ?Das ganze Stadion: steh auf!? Keine Angst unter geschichtsbewussten Lesern. Es geht nicht weiter mit dem Satz ?und Sturm brich los?? Man ruft sich in Dortmund ein fröhliches ?Be-vau-beeeh!? zu und spielt das Echo von St. Bartholomä am Königssee. Kreuzbrav befolgen die Fans in der Südwest- und Südostecke des Westfalenstadions die Aufforderung, ebenfalls ?Be-vau-beeh!? zu rufen. Manchmal machen auch die Ost- und die Westtribüne mit. Obwohl deren Besetzer gekommen sind, um sich bespaßen zu lassen. Mal von den Jungs auf dem Rasen, mal von der Gelben Wand. Aber wenn die Stimmung entspannt ist, lüftet man den schwieligen Hintern und lässt überschüsige Luft so durch die Stimmbänder entweichen, dass deren Schwingungen einigermaßen nach ?Be-vau-beeeh!? klingen. Dann setzt man sich schnell nieder, um den teuer bezahlten Gegenwert seiner Karte im vollen Umfang abzusitzen.

Mit der Humba, Freunde ist demnächst Schluss. Josef Blatter will es so. Herr Blatter ist der Präsident der Welt. Das betrifft zwar nur den Fußballverband. Aber de facto regiert er die Welt. Weder Präsident Obama noch Präsident Medwedew haben die Machtfülle von Herrn Blatter. Obama ist an demokratische Spielregeln gebunden, Herr Medwedew muss mit dem KGB-Ministerpräsidenten Putin Rücksprache halten. Herr Blatter aber ist der Herrscher in der FIFA-kratie. Die ist so etwas wie die Fortsetzung der DDR-Führung, wirtschaftlich allerdings eindeutig erfolgreicher ? für Herrn Blatter und sein Politbüro in der Schweiz. Ich verkneife mir hier jeden Seitenhieb durch Zitate über die Schweiz aus dem Munde von Bundesfinanzminster Peer Steinbrück. Ich gebe allerdings zu, dass sie mir stets einfallen, wenn ich Blatter oder FIFA höre.

Sportverbände gelten als die letzten Rückzugsgebiete totalitärer Herrschaftsstrukturen auf diesem Planeten. Der Radsportweltverband räumt mit dem Doping gnadenlos auf (der Schweizer Verband ist da besonders vorbildlich, wie die Fälle Ullrich und Klöden zeigen). Der Welthandballverband und der soeben wiedergewählte Hassan Muastafa sind nach eigener Rechtsinterpretation natürlich keine kriminelle Vereinigung. Und die Deutsche Reiterliche Vereinigung zeigt professionelle Pferdeschinder unnachgiebig bei der Schwerpunktstaatsanwalt für Wirtschaftskriminalität in Bochum an. Genauso so ist die FIFA frei von Bestechlichkeit und Vorteilsnahme. Es ist eine üble Nachrede, der Eidgenosse Blatter habe sich die Präsidentschaft der FIFA dadurch erkauft, dass er Funktionären in ?Schwellenländern? (das ist der Euphemismus für jene Weltregionen, in denen Menschen mit der Perspektive geboren werden, dass sie massenhaft krepieren und der Rest schaut zu) Wohltaten in Form von materieller Wertschätzung für besonders eifriges Stimmensammeln zukommen lässt. Nein, auch die WM in Südafrika ist selbstverständlich keine Belohnung für die Unterstützung zur wiederholten Machtentfaltung Herrn Blatters, sondern vielmehr ein Beitrag zur Entwicklungshilfe.

Herr Blatter ist so wichtig, dass sich Funktionäre unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor wichtigen Sitzungen in gebückter Haltung dem hohen Thron nähern und mit ihren Lippen den entblößten Großen Onkel des Präsidenten küssen. Wie jeder Emporkömmling besticht Herr Blatter durch mitunter skurrile Absonderlichkeiten, die seine Hofschranzen eiligst in die Tat umsetzen. Notfalls wird ein Olympiastadion umgebaut ? Denkmalschutz hin, Abschaffung der Monarchie her ? damit Herr Blatter ein Fußballspiel genau auf Höhe der Mittellinie verfolgen kann. Das muss man verstehen. Verliert Herr Blatter den Überblick, wird er unleidlich und droht mit Liebesentzug. Wen die FIFA ? also Herrn Blatter ? nicht liebt, dem droht erstens Nichtbeachtung und damit zweitens Geldentzug. Für Funktionäre ein Horrorszenario.


Herr Blatter sorgt sich immer auch um den Fußball. Im Augenblick ist er damit beschäftigt, die Zahl der Schiedsrichter und ihrer Assistenten stufenweise so aufzustocken, dass demnächst jeder Spieler seinen Leibschiedsrichter hat. Über eine leichte Erhöhung der Eintrittspreise wäre dieses Arbeitsbeschaffungsprogramm für professionelle Pfeifen durchaus zu finanzieren, meint Herr Blatter. Über Abseits wird künftig mehrheitlich abgestimmt. Dazu wird das Spiel unterbrochen, was wiederum neue Vermarktungsmöglichkeiten schafft.

Blatter beschäftigt noch etwas anderes. Wie alle kleinwüchsigen Menschen hat er arge Komplexe. So hat er schon in jungen Jahren als Zuschauer erfahren müssen, dass es nichts nutzt, in aufregenden Szenen vom Sitz aufzuspringen. Weil die Vorderleute auch hochschießen, kann Blatter trotzdem nichts sehen. Der Blatter Sepp hat sich damit vor der Präsidentschaft damit beholfen, dass er auf seine Sitzschale kletterte und seinem Vordermann über die Schulter lugte. Dann war die spannende Szene vorbei, und alles setzte sich. Nur Blatter Sepp stand einsam auf seinem Sitz und hatte wieder einmal alles verpasst. Daraufhin riefen die Fans ?Hinsetzen, hinsetzen?. So begann die Humba. Für einen Mann wie den Blatter Sepp ist das ein Trauma, Freunde. Aus Hinsetzen wird schnell sitzen bleiben. Wer bleibt schon gerne sitzen? Vor allem wenn man sich mit hübschen Blondinen umgibt, will man nicht sitzen bleiben (Anm. der Red. Das war UEFA-Johansson). Egal. Blatter ordnete an, dass künftig nur noch Danny de Vito und Thomas Hässler vor ihm Platz nehmen dürften. De Vito hat kein Interesse an Fußball, und Hässler scheitert daran, dass er sich die ihm zugeteilte Sitznummer nicht merken kann.

Dann fiel Blatter ein, dass er erstens allein zu sagen hat und zweitens das Thema Sicherheit immer zieht. Wenn sich in Basel und Zürich, zwei weltbekannte Brennpunkte des internationalen Fußballbrutalismus, Fans vor und nach dem Spiel gegenseitig die Schädel einschlagen, dann hat das einen Grund. Blatter ist im Denken ein Fuchs. Er fand heraus, dass sich nur schlagen und treten kann, wer steht. Setzt man also im Stadion ein Stehverbot durch, können sich rivalisierende Fans nicht mehr gegenseitig die Augen bläuen. Wer nicht steht, kann außerdem nicht gehen. Wer nicht gehen kann, kommt nicht raus aus dem Stadion. Er kann sich folglich nicht draußen prügeln. Die Idee ist so genial, dass Carlos Eduardo von der TSG Hoffenheim fürchten muss, doch nicht den Friedensnobelpreis zu erhalten. Blatter soll sich einen gehörigen Vorsprung ersessen haben. Denn niemand anders als Blatter kontrolliert höchstpersönlich, dass dieses Sekret eingehalten wird. Das erklärt, warum Franz Beckenbauer während der Fußballspiele angerufen wird: ?Hallo Seppi, du bist?s?, freut sich der Franz. Klar, er sitzt. Also hat der Blatter nix zu meckern.

Der Blatter Sepp, Schutzheiliger der unheiligen Einfalt, sinnt längst nach weiteren Neuerungen für ein friedvolles Fußballfest. Denn sitze der Fan, gehe es ruhiger auf dem Rasen zu, sagt er. Neu ist das nicht. Wenn einer sitzt, ist er traditionell ruhig gestellt und unter Aufsicht. Sitzt der Fan, kommt er nicht auf dumme Gedanken. Blatter vermutet sicher, dass alle Fans das Hirn dort haben, wo er es bei sich noch nicht gefunden hat. Zur Befriedung des Fußballs will Blatter den Fans demnächst das Singen verbieten. Anschließend wird der Seppi das lautstarke Anfeuern verbieten. Dann wäre es wunderbar ruhig und gesittet im Stadion. Lediglich die Spieler stören noch, weil sie sich Kommandos zurufen und bei Anstrengung sogar obszön stöhnen. Ließe sich das auch noch über akribische Trainingsarbeit abschalten, wären Herr Blatter und sein Seniorenanhang endlich zufrieden. Sie könnten neunzig Minuten lang ein Nickerchen machen und dabei die vor dem Spiel genossene Gänsebrust auf Rotkohl mit Klößen ganz sachte verdauen. Und muss ein Zuschauer während der neunzig Minuten aufs Klo, holt er sich die Erlaubnis und Filzschluppen beim Ordner. Erst dann schleicht er sich von dannen. Pupsen auf dem stillen Örtchen ist übrigens nicht erlaubt.

Michael Verhoeven, der kein Stadion dieser Welt mehr betritt, wenn er dafür sitzen muss, 09.06.2009

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