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„Was habt ihr aus Sechzig München gemacht?“ (Teil 1)

Turbulent geht es zu, bei Münchens großer Liebe, dem TSV 1860. Die drohende Insolvenz wurde Dank des Lokalrivalen FC Bayern gerade noch in letzter Minute abgewendet. Aber was ist der Preis für diese Rettung? Was lief verkehrt in den letzten Jahren, dass es überhaupt so weit kommen konnte? In einem Rückblick auf die Zeit vom Wiederaufstieg 1994 bis zum heutigen Tage sollen in zwei Teilen erste Aufschlüsse gegeben werden.

Sonntag 21. Mai, Jahreshauptversammlung der Fußballabteilung des TSV München von 1860 in der kleinen Olympiahalle. Etwa 500 Mitglieder sind erschienen. Bei einer Mitgliederzahl von knapp 20.000 allein in der Fußballabteilung ein sehr spärliches Ergebnis. Vielleicht darauf zurückzuführen, dass seitens des Vereins abgesehen von einem Hinweis in den ?Löwen News? knapp zwei Monate vor der Versammlung nirgends darauf hingewiesen wurde. Dabei ist dies die einzige Möglichkeit der Mitglieder der Fußballabteilung direkten Einfluss auf den Verein zu nehmen, denn hier werden die Delegierten gewählt, die ihrerseits wiederum die Vorstandschaft bestellen.

Präsident Alfred Lehner eröffnet die Veranstaltung. ?Wollt ihr wirklich die Wahrheit hören?? fragt er zu Beginn. ?Ja?, ?es wird Zeit? oder ?endlich? schallt es ihm entgegen. Also beginnt Lehner mit der Wahrheit, allerdings mit keiner besonders neuen Wahrheit. Es wurden Fehler gemacht, der Kader ist zu teuer, die Fixverpflichtungen für die Allianz Arena sind zu hoch, man hätte beim Bau des Jugendinternats vor Jahren nicht auf die mögliche öffentliche Unterstützung verzichten sollen. Weitestgehend alles bereits bekannt. Weiter führt er aus, dass mehr ausgegeben als eingenommen wurde. Auch nicht neu und irgendwie auch wenig überraschend, bei einem zu erwartenden Schuldenstand von sieben Millionen Euro zum 30.06.2006.

Der liebe Mensch Karl-Heinz Wildmoser?

Die Finanzen wurden stets geschönt. Von Liquiditätsproblemen konnte man angeblich nicht ausgehen, auch nicht im Aufsichtsrat, dessen Vorsitzender Alfred Lehner bis zum Antritt des Präsidentenamts in März dieses Jahres war. Ein bisschen geschummelt wurde wohl bei der Finanzkalkulation für die abgelaufene Saison, die Einnahmen für die Business Seats in der Arena, welche eine Hauptschuld am großen Minus des vergangenen Saison tragen, wurden gleich zwei Mal aufgeführt. Es soll Umstrukturierungen in der Satzung des Vereins geben, der Beirat, welcher von Ex-Präsident Karl-Heinz Wildmoser als Instrument zur Aufrechterhaltung seiner Macht installiert wurde und es ihm erlaubte, Entscheidungen am Aufsichtsrat vorbei zu treffen, wird abgeschafft. Immerhin, denkt man sich da als Fan. Soweit die sehr emotionslos vorgetragene Rede des Präsidenten. Zum Schluss seiner Ausführungen wird noch etwas Balsam auf die geschundene Löwenseele geschmiert: Solche Fans seien einmalig, solch eine Treue hat die Fußballwelt noch nicht gesehen. Prima. Es werden jedoch immer weniger Löwen-Fans, die sich von solcher Hönig-um-den-Mund-Schmiererei noch beeindrucken lassen. Anstatt einen donnernden Applaus erhält Lehner einen wütenden Zuruf eines Löwenfans: ?Was habt ihr nur aus Sechzig München gemacht!??

Doch was ist in den letzten Jahren passiert bei den Löwen? Dazu bedarf es eines etwas ausführlicheren Rückblicks. Die Löwen kehren am Ende der Saison 1993/94 sensationell in die Bundesliga zurück. Die Freude darüber wird auch von dem größten Teil der Dortmunder geteilt. Und so feiern viele BVB-Fans mit den Sechzigern, ob am Tag des Aufstiegs in Meppen oder etwas später, am 20.  August  1994, beim allerersten Bundesligaspiel der Blauen in der Eliteklasse, welches ausgerechnet just im Dortmunder Westfalenstadion stattfand. Die Löwen wurden gefeiert, denn sie verkörperten damals durchaus das, was man heute einen ?Kultverein? nennen würde. Eine lautstarke, verschworene Fangemeinschaft, die eine kampfstarke Mannschaft bestückt mit Spielern der Marke ?Publikumsliebling? (Miller, Erhard, Pacult) in einem kleinen, traditionsreichen Stadion bedingungslos unterstützte. Der ?Mythos Sechzig? lebte. Der Klassenerhalt wurde geschafft und der zeitweise Auszug aus dem traditionsreichen ?Sechzgerstadion? beschlossen, für die Spiele gegen die Großen der Liga ging es aus wirtschaftlichen Gründen nun fortan ins Olympiastadion. Zu dieser ?Spielstätte? muss nicht mehr viel gesagt werden. Architektonisch eine Pracht, leider für Fußball gänzlich ungeeignet. Diese erste den Fans von Wildmoser auferlegt ?Kröte? schluckten noch fast alle Anhänger relativ bedingungslos. Der bäuchige Großgastronom aus Hinterbrühl hatte den Verein kurz vor dem Abgrund übernommen und zusammen mit Trainer Werner Lorant konsequent aus den Niederungen der Bayernliga zurück in die Bundesliga geführt. Man investierte Vertrauen in diesen Mann, und das nicht zu Unrecht. Sportlich entwickelte sich alles prächtig, Spieler wie Peter Keller, alias Piotr Nowak, Horst Heldt oder Bernhard Winkler sorgten für ansehnlichen Fußball und die Qualifikation für den UI-Cup. Die Löwen zurück auf der internationalen Bühne, wenn auch auf einer kleinen, nach dreißig Jahren. Vor fünf Jahren hatte man noch in Fronlach und Lohhof gespielt. Eine wirklich einmalige Entwicklung. Inzwischen wurde der endgültige Umzug in das Olympiastadion amtlich gemacht und erstmal regte sich konkreter Widerstand. Die ersten ?Verweigerer? aus der Anhängerschaft, die Heimspiele der Löwen grundsätzlich nur im Grünwalder Stadion besuchten, machten auf sich aufmerksam. Doch diese ?Ewiggestrigen?, wie sie von Wildmoser und seinen zahlreichen Getreuen gerne abgewatscht werden und wurden, waren eine kleine und für den Präsidenten getrost zu vernachlässigende Minderheit.

Der Konflikt zwischen Grünwalder Straße und Olympiapark spitzt sich zu

Die Löwen etablierten sich im gesicherten Mittelfeld der Bundesliga und qualifizierten sich nach der Saison 96/97 sogar direkt für den Uefa-Cup. Der ?Chaosverein 1860? schien der Vergangenheit anzugehören, man war schuldenfrei und konnte sich Runde für Runde ans Revers heften, die Lizenz stets ohne Auflagen zu bekommen. Dann verkündete Sepp Blatter: ?And the Winner ist Deutschland? und in München wurde postwendend das wilde Gerücht gestreut, dass ohne neues Stadion in der bayrischen Landeshauptstadt diese kein WM-Spielort werden könne. Im Nachhinein kann man das wohl als plumpe Unwahrheit bezeichnen, da die Kriterien der Fifa bei den Stadien in erster Linie auf die Sicherheit und nicht auf die hoch moderne Bauart abzielen. Das große, übersichtliche  Olympiastadion ist, im weitläufigen Olympiapark gelegen, eines der sichersten Stadien der Welt. Doch auch der FC Bayern war nicht uninteressiert an einer neuen Spielstätte. Für einen Verein allein konnte und durfte die Stadt München keinerlei Mittel für einen Stadionneubau zur Verfügung stellen, die für neue Infrastrukturmaßnahmen erforderlich würden. Ein zweiter Nutzer für ein mögliches neues Stadion musste gefunden werden. Unschwer zu erraten, an wen sich die Stadionplaner wandten. Auch 1860 war mit dem Olympiastadion wenig glücklich. In Präsident Wildmoser war nach nur kurzer Überzeugungsarbeit schnell ein weiterer Freund für diese Idee gefunden. Ungeachtet der ganzen Querelen rund um dieses keimende Gemeinschaftsprojekt, hatte die Löwen-Mannschaft um Icke Häßler und Martin Max unterdessen in der Spielzeit 99/00 für eine dicke Überraschung gesorgt: Nach einer traumhaften Saison mit zwei Siegen über besagten Lokalrivalen von der Säbener Straße (remember Thomas Riedl Fußballgott) sicherte man am Schluss der Spielzeit Platz vier und erreichte somit die Champions League-Qualifikation. Dieser vierte Platz, der im Nachhinein betrachtet der Anfang vom Ende war, verlieh vielen im Umfeld der Löwen regelrecht Flügel. Langfristig im internationalen Geschäft, dazu noch in einem Hochglanzstadion - diese Vorstellung vernebelte vielen Anhängern den Sinn für die Realität. Vielleicht auch den der Münchner Bürger. Nach einer großen von Hoeneß,  Ude und Wildmoser geplanten und von allen Dreien werbewirksam inszenierten Werbetour wurden die Münchner an die Wahlurne gebeten, um per Bürgerentscheid über ein neues Stadion in ihrer Stadt anzustimmen. Sie alle wollten ein neues Stadion, klar!

Spaltung der Fanszene wirft Schatten

Doch Widerstand regte sich im Fanlager der Blauen. Ein gemeinsames Stadionprojekt mit dem Lokalrivalen, das ging vielen zu weit. Die Fankurve war zusehends gespalten und ist dies bis heute. Auf der einen Seite die ?Grünwaldis?, die die Löwen am liebsten zurück im Grünwalder Stadion spielen sehen würde und schon gar nicht zusammen mit dem FC Bayern, lediglich geduldet im neuen Prachtbau, auf der anderen die Befürworter des neuen Stadions. Karl-Heinz Wildmoser hatte es in seiner unnachahmlichen Art geschafft, dass fast alle organisierten Fans innerhalb des Dachverbandes ARGE linientreue Gefolgsleute seiner Vereinspolitik wurden. Die Delegiertenversammlung bestand zu großen Teilen aus ARGE-Mitgliedern, auch so konnte sich der Präsident einer sehr gefestigten Macht ohne möglichen internen Widerstand sicher sein.

Auf der sportlichen Seite in den Rängen, zeitigten diese Ränkespiele verheerende Auswirkungen. Die Mannschaft wurde während ihrer Spiele nur noch selten unterstützt. Vielmehr zerfleischten sich die Fans in der Stadionfrage grabentief. Ein trauriges Bild. Die Frage, ob jemals eine realistische Chance bestand, das Grünwalder Stadion effektiv auszubauen oder gar zu modernisieren, wird wohl auf ewig unbeantwortet bleiben. Mit einem ?es gähd hoid ned?, was über die Jahre in der Löwen-Fanszene zu einem geflügelten Wort wurde, erstickte der monarchisch regierende Wildmoser jegliche Diskussion im Keim. Es gab von unabhängiger Seite tatsächlich angefertigte Ausbaupläne, die aber weder seitens der Stadt noch des Vereins je ernsthaft geprüft wurden. Die Pläne für das neue Stadion hingegen wurden immer konkreter. Im Norden Münchens, wenig idyllisch, aber sehr trist neben A9 und Müllberg in der Peripherie gelegen, sollte nun mal auf Druck von Stammtisch, Politik und seiner bajuwarischen Verbündeten die modernste Fußballspielstätte der Welt für 360 Millionen Euro entstehen. Wie sollten die Löwen, die zwar zu diesem Zeitpunkt schuldenfrei waren, aber auch nicht gerade im Geld schwammen, diesen Wahnsinn mitfinanzieren? ?Allein aus dem Spielbetrieb heraus? passiere dies, beruhigte Karl-Heinz Wildmoser aufbegehrende Gemüter. Was sich zwischen dem ersten Spatenstich für die Arena und dem Status quo getan hat, ist indes schnell zusammengefasst: Im Zuge der Schmiergeldaffäre seines Sohnes musste der Wiesen erfahrene Großgastronom im März 2004 unter großem Gepolter im Geschrei des Boulevards und hinter schwedischen Gardinen einsitzend, zurücktreten.

Doch das Leben abseits auf dem Sportplatz ging ungeachtet personeller Schicksale erbarmungslos weiter. Zwei Monate später stiegen die Löwen aus der Bundesliga ab. Und wie immer in solchen Fällen, regierte der Trotz prompt mit der Prophezeiung der sofortigen Wiederkehr. Ein Jahr darauf sollten die Löwen als frisch gebackener Wiederaufsteiger in die neue Allianz Arena einziehen. Als Schmankerl für die Fans fanden in dieser Saison 12 der 17 Heimspiele im altehrwürdigen Grünwalder Stadion statt, welches für immer mehr Anhänger die einzig wahre und akzeptable Spielstätte der Löwen ist. ?Es gähd hoid doch?. Der ersehnte Aufstieg jedoch misslang und die Probleme wurden nicht kleiner. Auch nicht beim zweiten Anlauf, der bereits im neuen Stadion unternommen wurde und kläglich scheiterte. Beinahe wäre man dort wieder angekommen, wo einst Werner Lorant den Club dereinst durch bayerische Niederungen führte. Anders ausgedrückt: Heute stehen die Löwen vor einer dritten Saison in der Zweiten Liga und vor dem finanziellen Ruin.

Wie es nach den jüngsten Ereignissen um den Gemütszustand der Löwenfans bestellt ist und wie die Zukunft der Löwen einzuschätzen ist, lest ihr dann in Teil 2.

, 05.06.2006

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