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Zunder für den Feuerkopf

Helle Aufregung herrschte am vergangenen Freitag in den Redaktionsstuben der Republik, Eilmeldungen schneiten über den Ticker im Minutentakt hinein. Grund: Matthias Sammer wird nicht, wir wiederholen: nicht, neuer sportlicher Leiter beim Hamburger Sportverein. Der sich seit Tagen um Sammer bemühte und öffentlich den Eindruck erweckte, die Einigung sei nur noch Formsache. Jetzt das: Sammer blieb sich treu und entschied ganz allein so, wie er es für richtig hält. Sicher war ihm nur ansatzweise bewusst, welches Medienecho ihm daraufhin um die Ohren fliegen sollte. Vermutlich war es ihm aber auch egal, denn der Mann steht sicherlich nicht im Verdacht, seine Entscheidungen von öffentlicher Zustimmung abhängig zu machen. Die blieb auch weitgehend aus.

Besonders die ?Bild?-Zeitung legt sich mächtig ins Zeug, um den früheren Weltklassespieler nach allen Regeln der Kunst zu brandmarken. ?Angesichts der Fußball-Posse um den gescheiterten Job-Wechsel von Matthias Sammer möchte man so heftig mit dem Kopf schütteln, dass man aufpassen muss, nicht zum Ventilator zu werden?, kommentiert Alfred Draxler. Seine Einlassung gipfelte in folgendem Fazit: ?Matthias Sammer, ein begnadeter Trainer und Fußball-Weiser, hat sich vorerst selbst ins Abseits gestellt. Ein Jammer!?

In dem Bericht ist die Rede von einer ?brutalen Absage?, zu Sammers Begründung seiner Entscheidung heißt es: ?Noch während der gestrigen, entscheidenden Sitzung beim DFB erklärte Sammer, er müsse schließlich noch einiges mit seiner Familie klären. Als wäre dazu vorher keine Zeit gewesen!? Mit welchem Recht kritisiert eigentlich die ?Bild?-Zeitung Sammer für eine Entscheidung, die man doch wohl ganz getrost als dessen Privatsache bezeichnen kann? Als Beobachter der Szenerie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Blatt sei vergrätzt darüber, dass hier etwas, dass die Zeitung schon Tage vorher als nahezu perfekt vermeldet hatte, plötzlich ganz anders gekommen ist.

Aber nicht nur Deutschlands größtes Boulevard-Blatt geht scharf mit Matthias Samer ins Gericht. Die ?Süddeutsche Zeitung? schreibt: ?Nach seiner Absage in Hamburg gilt DFB-Sportdirektor Matthias Sammer plötzlich als der Mann, der sich nicht traut. Er selbst macht den HSV verantwortlich. Doch sein Image als ehrlicher, aufrechter Charakter leidet.? Für Autor Christof Kneer ist Sammer ab jetzt ein ?gelöschter Feuerkopf?, er sieht ihn in seinem Job beim DFB nachhaltig geschwächt. ?Und Sammer ist weiterhin ein bisschen entmachtet beim DFB, jetzt aber noch ein bisschen entmachteter. Er wird es nicht mehr riskieren, im Fall Adrion öffentliche Widerworte zu geben. Er hält Adrion für gescheitert, aber er weiß, dass es im Moment keine gute Idee wäre, sich an einem Machtkampf zu versuchen. Nicht nur in der öffentlichen Meinung, auch im eigenen Verband gilt Sammer seit Freitag als der Mann, der sich nicht traut.?



Ausführlich widmet sich auch die ?Frankfurter Allgemeine Zeitung? (FAZ) der gescheiterten HSV-Personalie Sammer. ?Dauerbrabbeln der Dilettanten?, schreibt Roland Zorn in seinem Kommentar. Sein Zorn trifft alle am Geschehen Beteiligten: ?Dass der HSV Matthias Sammer nicht verpflichten konnte, ist dem Profilierungsdrang einiger Aufsichtsräte ebenso zuzuschreiben wie Sammers Eifer, die eigene Omnikompetenz bei jeder Gelegenheit hervorzukehren. Nicht einmal Halbgares bleibt in der Bundesliga noch hinter verschlossenen Türen.?

Kaum ein gutes Haar lässt auch Michael Horeni (ebenfalls ?FAZ?) am Funktionär, der zwischen allen Stühlen sitzt: ?Ein Mann, der nicht weiß, was er will?, schreibt er. ?Er gibt sich gern als integre, loyale, gradlinige Fußballgröße mit besten Absichten, einem innerem Kompass und unumstößlichen Werten. Doch mit seiner verkorksten Bewerbungstour beim HSV hat sich Matthias Sammer ins Abseits gestellt.? Ebenso wie Kollege Kneer sieht Horeni Sammers Position beim Deutschen Fußball-Bund dauerhaft geschwächt. ?Löw will Adrions Vertragsverlängerung noch im Januar klären. Sammer hat das Vertrauen in den U-21-Trainer verloren. Aber die Frage ist mittlerweile eine ganz andere. Wie will Sammer nach der Hamburger Affäre, die weit eher einem Heiratsversprechen glich als einem Flirt, seine Glaubwürdigkeit beim DFB zurückgewinnen??, fragt er.

Der Verband kommt übrigens ohne Gesichtsverlust aus der Nummer heraus ? durch die Bank herrscht Verständnis für Präsident Zwanziger, von Sammer eine schnelle und eindeutige Entscheidung zu fordern. Nachdem ein HSV-Funktionär die Sache ohne Not öffentlich gemacht hatte, wie ?Die Welt? festhält: ?Der Aufsichtsrat tagte ? zum ersten Mal in neuer Zusammensetzung ? und der frisch gewählte Vorsitzende des höchsten Vereinsgremiums trat anschließend vor die Presse. ?Wir hoffen, dass wir die Personalie in wenigen Tagen realisieren können?, sagte Ernst-Otto Rieckhoff, nach Sammer gefragt. Diese Aussage sollte verheerende Wirkung haben. Denn es wurde zum ersten Mal öffentlich gemacht, was bis dahin nur hinter vorgehaltener Hand getuschelt worden war. Und das schreckte Sammers Arbeitgeber auf: DFB-Präsident Theo Zwanziger, der bis dahin weder von Sammer noch vom HSV offiziell benachrichtigt worden war, forderte nun Klarheit. ?Ich will am Freitag von Matthias eine klare Aussage?, sagte er am Donnerstag.? Die bekam er, allerdings in anderer Form, als der HSV dies erwartet hätte.

Sammer begründete seine Absage damit, durch den Druck des DFB nicht genug Zeit gehabt zu haben, alle Details seines Engagements auszuarbeiten. Der Aufsichtsrat hingegen sagt, in den Zeitungen hätten ohnehin schon viele Details gestanden. ?Warum sollten wir bei dem Stand der Verhandlungen noch rumeiern? Wir wollten uns dazu bekennen und sagen: ?Ja, wir wollen mit Matthias Sammer zusammen arbeiten?.?



Doch der gute Wille allein nützt bekanntlich gar nichts, deswegen steht der Verein jetzt mal wieder mit leeren Händen da. Und muss sich mal fragen, warum ihm das permanent passiert. Denn Sammer ist nun wahrlich nicht der Erste, der den Posten des sportlichen Leiters dort ausschlägt. Daran erinnert der ?Kicker?, der schreibt ? Gewiss ist Sammer nicht ganz unschuldig daran, dass auch Hamburgs elfter (!) Anlauf nicht klappte. Aber zum Scheitern einer Liaison gehören immer zwei!? Kommentator Sebastian Wolff hält deutlich fest, dass es in diesem ?Sammer-Theater? ausschließlich Verlierer gibt: ?Sammer, der als Zauderer daherkommt; Hamburgs Zwölferrat, der bedenkenlos zum ?Elferrat? umbenannt werden könnte; Klubboss Bernd Hoffmann (?). Und Bastian Reinhard, der erheblich geschwächt wurde.?

Weder Sammer noch Verein haben bei dieser Aufführung eine gute Rolle gespielt, doch der Schaden bei den ?Rothosen? dürfte nachhaltiger sein. Denn was hat Matthias Sammer eigentlich Schlimmes verbrochen? ?Der 43-Jährige hat sich gegen den Job des Sportdirektors beim Hamburger SV entschieden und bleibt lieber dem Deutschen Fußball-Bund treu?, hält Gianni Costa in der ?Rheinischen Post? fest.

Und tut damit etwas, dass der hier von den Folgen unangenehm berührte HSV von seinem abwanderungswilligen Stürmerstar Ruud van Nistelrooy vehement einfordert: Er hält sich an seinen Arbeitsvertrag (zumindest im Moment). Was dem HSV also im Fall van Nistelrooy billig ist, ist ihm andernfalls bei Matthias Sammer offenbar nicht recht. Das verstehe, wer will.

, 24. Januar 2011

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