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Paris gegen Borussia - und gegen sich selbst

Die große europäische Bühne hat den BVB zurück. Und nach der unglücklichen und unverdienten Niederlage gegen den FC Sevilla, tritt heute mit Paris Saint Germain ein weiteres weltweit bekanntes Team im Westfalenstadion an.

Bekannt wurde Paris SG aber nicht nur durch Mäzen Daniel Hechter in den Siebzigern, die zwei Meisterschaften oder die Ballkünste des jungen Ronaldinho in der vergangenen Dekade, sondern auch durch die Zerrissenheit seiner teilweise gewaltbereiten Fanszene. Da der heutige Gegner auf traurige Weise zeigt, wie weit es weder in den Fankurven, noch in Sachen Kollektivstrafen und Restriktionen gegen Fußballanhänger gehen darf, hat Die Kirsche beim Vorbericht nicht nur die sportliche Situation der Borussia und ihres Gegners im Blick, sondern auch die großen Probleme innerhalb der Pariser Fanszene.

Am 28. Februar diesen Jahres trug Paris Trauer. Denn dieser Tag war der traurige Höhepunkt eines langen Streits. Bei Ausschreitungen vor dem Fußballspiel der französischen Vereine Paris Saint Germain und Olympique Marseilles wurde Yann Lorence lebensgefährlich verletzt. Der 37-jährige PSG-Anhänger fiel ins Koma und erlag 20 Tage später, in der Nacht vom 18. auf den 19. März, seinen Verletzungen. Das Besondere an diesem tragischen Tod: Lorence starb nicht etwa aufgrund eines Angriffes der gegnerischen Fans aus Marseilles. Seine ?Gegner? waren wie er Fans des Hauptstadtklubs aus Paris. Doch der Verein, der in der letzten Saison fußballerisch nur im Mittelmaß der ?Ligue 1? herumdümpelte und dank des nationalen Pokalerfolgs nun auch europäisch vertreten ist, kämpft seit Jahren mit einem Konflikt zwischen den eigenen Fans. Ein Konflikt, der die Grenze des Zumutbaren schon lange überschritten hat.

Verfeindete Fanlager

Es gibt bei PSG zwei Fanlager, die sich feindlich gegenüber stehen. Zum einen die Fans auf der ?Tribune Boulogne?, zum anderen die Anhänger auf der ?Tribune Auteuil?. Erstere ist die traditionelle, ältere Kurve, auf der neben "normalen" Stadionbesuchern auch Hooligans und politisch rechts orientierte Fans zu finden sind. Die Tribune Auteuil hingegen steht für die bunte und gemischte Fangemeinde, bei der auch die ausländische Jugend aus den Vororten ihren Platz findet. Sie wurde ab 1991 aufgebaut, zu einem Zeitpunkt, als der Fernsehsender Canal + viel Geld in den Pariser Verein steckte und dadurch auch den Aufbau neuer Fangruppen erleichterte.

Der Konflikt zwischen den Fanlagern der beiden Tribünen verschärfte sich im Jahre 2004, nachdem "Kop de Boulogne" der Fangruppe Tigris Mystic, die ihren Platz auf der Auteuil-Tribüne hatte, offen den Widerstand erklärte. Es folgten Ausschreitungen bei Auswärtsspielen wie etwa in Le Mans, wo ein Fan schwer verletzt wurde. Als Tigris Mystic sich im Juli 2006 auflöste, sollte zunächst eine trügerische Ruhe zwischen den beiden Fanlagern einkehren.

Doch schon wenige Monate später, im November 2006, machten einige Anhänger der Tribune Boulogne wieder von sich reden. Julien Quemener, 25 Jahre alt und Mitglied der Boulogne Boys, hetzte mit seinen Gesinnungsgenossen außerhalb des Stadions einen jüdischen Fan des damaligen Gegners Hapoel Tel Aviv.


Ein schwarzer Zivilpolizist, der dem machtlosen Tel Aviv-Fan zu Hilfe gekommen war und dadurch selbst attackiert wurde, machte aus Notwehr von seiner Schusswaffe Gebrauch und verletzte Julien Quemener tödlich. Der vorläufige Höhepunkt der Fankrise war erreicht, es folgten Stadionverbote und eine vorläufige Teilsperrung der Boulogne-Tribüne.

Einige Zeit nach dem ersten Todesfall schrieb das Fußballmagazin ?Rund? in einem Bericht über Paris Saint Germain und deren Fans: ?Heute scheint es wieder ruhig geworden zu sein. Doch wie lange?? Heute kennen wir die Antwort: Bis zum 26. Spieltag der Ligue 1 am 28. Februar 2010. Der Tod von Yann Lorence ließ nicht nur die Anhänger des französischen Fußballs aufschrecken, sondern die gesamte französische Bevölkerung. Doch stellt sich automatisch die Frage: Musste es soweit kommen?

Dramatische Entwicklungen und drakonische Kollektivstrafen

In einem Flyer bezieht der Bayern-Fanclub ?Schickeria München? zum jüngsten Vorfall in Paris Stellung: ?Eine Tragödie, die allerdings aufgrund von schwerwiegenden Problemen in der französischen Gesellschaft entstand und zwar den Fußball als Bühne fand, aber doch auch in einem ganz anderen Kontext geschehen hätte können. Der Fußball ist für den Tod nicht ursächlich, im Gegenteil: die Gesellschaft mit ihrer sozialen Schieflage und rassistischen Ausgrenzung, deren Produkt Yann [Lorence, Anm. der Redaktion] war, ist es und benutzt den Fußball als Sündenbock, um von den wirklichen Problemen abzulenken.?

Um die Probleme zwischen den verfeindeten Fanlagern zu lösen, haben die Politik, der Verein und der Ligaverband eine Reihe von Maßnahmen getroffen, darunter zum Beispiel das Verbot von mehreren Fangruppen beider Seiten. Auch die Kölner Ultras ?Coloniacs? gehen in einer ?Stellungnahme zur Auflösung der Pariser Gruppen ATKS, Supras & Grinta?, die durch das französische Innenministerium als Folge der Ausschreitungen offiziell verboten wurden, konkret auf den Vorfall am 28. Februar ein. Die Kölner Fangruppierung, die seit 2003 freundschaftliche Beziehungen mit einigen Gruppen der Pariser Tribune Auteuil pflegt, kritisierte im Mai diesen Jahres die Reaktion des Vereins, des Ligaverbandes und der Politik auf die jüngsten Geschehnisse: ?Welch ein Schlag ins Gesicht auch für uns, die vor Ort waren und erst eine unglaubliche Gastfreundschaft unserer Freunde genießen durften, um dann von den Rassisten des Kop de Boulogne angegriffen zu werden. Nun wurde durch das Verbot der Gruppen eine Kollektivstrafe nach dem Prinzip der Sippenhaft ausgesprochen, die das Problem absolut nicht lösen, sondern nur noch verschlimmern wird.?

Nachdem in der letzten Saison keine Auswärtskarten mehr verkauft wurden, werden in der jetzigen und den kommenden Spielzeiten keine Dauerkarten mehr in der Nord- und Südkurve angeboten. Es gibt "personalisierte" Tickets, der Fan kann sich seinen Tribünenplatz nicht mehr aussuchen. Außerdem wurden im Boulogne- und Auteuil-Bereich Familienbereiche eingerichtet. Frauen kommen umsonst ins Stadion, Kinder zahlen die Hälfte für eine Karte. Grund genug für die verschiedenen Gruppierungen, die Heimspiele der eigenen Mannschaft zu boykottieren. Bei der sogenannten ?betreuten Reise? zu Auswärtsspielen muss man sich ein Komplettpaket kaufen, bestehend aus der Busfahrt und dem Ticket. Außerdem sind während der kompletten Fahrt und im Stadion Ordner anwesend.


Laut RMC.fr haben bis zum 13. Oktober 200 französische Fans das Auswärtspaket gekauft. Sie werden mit vier bis sechs Bussen anreisen. Außerdem planten hunderte von Boulogne- und Auteuil-Anhängern eine selbständige Anreise. Es bleibt also abzuwarten, wie die beiden Fanlager in Dortmund aufeinandertreffen und ob ihr Auswärtsspiel ohne gewalttätige Auseinandersetzungen und negative Schlagzeilen über die Bühne geht.

Apropos negative Schlagzeilen: Solche produzierten unlängst nicht nur seine Fans, sondern auch der Club selbst. Vor rund vier Monaten wurden die zwei ehemaligen Präsidenten des Klubs, Laurent Perpere und Francis Graille, wegen Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung bei illegalen Transferaktivitäten zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Borussia will gewinnen

Trotz aller Besorgnis erregenden Begleiterscheinungen rund um den PSG soll aber heute in Dortmund das Wesentliche im Vordergrund stehen - der Fußballsport.

Der BVB tritt mit der Empfehlung aus sieben Liga-Siegen in Folge an, die Gäste wollen im Westfalenstadion ihre Serie von sieben Spielen ohne Gegentor ausbauen. 

?Wer morgen Abend ein Hauen und Stechen auf höchstem Niveau sehen will, der sollte vorbeikommen?, blickte Jürgen Klopp auf der gestrigen Pressekonferenz voraus. ?Paris ist in einer sehr guten Verfassung, hat aber auch noch nicht gegen uns gespielt?, so Klopp weiter. In der Tat macht dem französischen Hauptstadtklub das Fußballspielen in der laufenden Saison wohl wieder Spaß, nachdem die letzte Spielzeit nur auf dem 13. Tabellenplatz abgeschlossen wurde. Bevor die Pariser Mannschaft nach Dortmund reiste, gewann sie ihr letztes Ligaspiel in Toulouse mit 2-0. Und auch zuvor war das Team von Trainer Antoine Kombouare oftmals erfolgreich. Derzeit belegt PSG den dritten Tabellenplatz - punktgleich mit dem großen Konkurrenten Olympique Marseille.

Dennoch brauchen sich die Borussen vor dem Tabellenführer der Europaleague-Gruppe nicht verstecken. Sollten die Schwarzgelben an ihre spielerische Leistung gegen Sevilla anknüpfen können, ist ein Dreier allemal drin ? wenn nicht sogar wahrscheinlich. Die in etwa 50.000 BVB-Fans werden ihren Publikumsliebling Dede nach langer Leidenszeit erstmals wieder auflaufen sehen. Der Brasilianer ersetzt den gesperrten Schmelzer.

Auf der rechten Seite wird wohl Lukas Piszczek für den noch nicht fitten Owomoyela spielen. Wie in den Vorwochen werden Sebastian Kehl, Tamas Hajnal, Mohamed Zidan und Florian Kringe fehlen. Gespannt wird sein, zu sehen, für wen sich Jürgen Klopp auf der rechten, offensiven Mittelfeldseite entscheidet: Kuba oder Götze.

Bei den Gästen ist fraglich, ob der angeschlagenen Superstar Claude Makelele und Mateja Kežman zum Einsatz kommen werden. Für ersteren stünde sonst höchstwahrscheinlich Jérémy Clément in der Startelf. Ansonsten sind bei den Dunkelblauen alle Mann an Bord - darunter klangvolle Namen wie Camara, Giuly, Bodmer und Nené. Paris' Trainer Kombouare wird seine Mannschaft wohl im 4-4-2-System aufs Feld schicken - und mit dem Auftrag an Peguy Luyindula und Guillaume Hoarau im Sturm, Roman Weidenfeller zu überwinden.

Dass er dies verhindern kann, davon ist der Dortmunder Schlussmann überzeugt. ?Paris hat die ersten beiden Spiele im Europapokal gewonnen. Aber morgen werden wir alles geben, um unseren Fans schönen Fußball zu bieten. Morgen wollen wir gewinnen?, so der BVB-Torhüter auf der Pressekonferenz. Weidenfellers Berater Dr. Michael Becker hatte bestätigt, dass Paris Saint Germain an einer Verpflichtung des Dortmunder Keepers interessiert sei. Es gäbe eine Anfrage, aber kein konkretes Angebot. ?Wir konzentrieren uns auf das Sportliche, und auf nichts anderes?, hatte Weidenfeller anschließend versichert. Heute abend werden wir sehen, ob die "Pariser" dieses unsportliche Störfeuer wirklich nötig hatten oder nicht. 

, 21.10.2010 

>> Letzte Infos von der Pressekonferenz


Fotos aus Paris: Chmouel Boudjnah (Wikimedia Commons, www.chmouel.com), Jeff Abauzit (Creative Commons, www.psgmag.net).

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